HURZ !

Brandenburgisches Sommerkonzert in der Schinkelkirche in Neuhardenberg: Ein israelischer Cellist mit dunkler Wallemähne, eine gewisse Ähnlichkeit zu Antonio Banderas würde ich nicht abstreiten, schrummt knarzende Bassakkorde, die sich anhören wie Möbelrücken auf dem Parkett einer Altbauwohnung. Zwischendurch auch einige hohe Töne, für Laien keine erkennbare Melodie, kein Rhythmus. Anerkennendes Nicken, Applaus von den Kennern, Bravorufe. „Cellissimo mit Schinkel“ mit Gavriel Lipkind und Anna Lipkind. Werke von Bach, Cassadó, Tsintsadze, Bloch, Duport, Ravel und Ligeti. Hinter mir rülpst in regelmäßigem Abstand ein dicker Mann. Einer Frau links vorne sackt in Intervallen der Kopf nach vorne.

Für seine Cello-Suiten hat Bach eine Skordatur verordnet – die oberste Saite des Instruments wird dazu heruntergestimmt. Für das Laienohr ergibt sich allerdings keine Änderung im dissonanten Tonbrei. „Es folgen eine melodisch sehr improvisatorische, farbige, betont ruhige Allemande und eine Courante, deren beide Hälften am Ende – typisch für Bach – den Taktschwerpunkt wechseln.“ Doch das Mainstreamgehör nimmt nur Chaos wahr und statt schönem Klang bloß Geräusch.

Cassado galt in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts als „liebenswürdiger Grandseigneur von ausgesprochen männlicher Ausstrahlung“, sein Celloton soll von Sehnsucht, Melancholie und Verletzbarkeit geprägt gewesen sein. Aber das „Intermezzo e Danza Finale“ bringt bei mir kein Gefühl zur Resonanz, es bleibt ermüdendes Unverständnis.

© Videorechte: 1440.2

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Nun folgt nach kreischendem Gestreich ein Pizzicato von Tsintsadzes, die Saiten werden gezupft wie man’s von der Gitarre her kennt, zudem mit Anklängen an georgische Volksweisen. Da findet der Schallnerv ein wenig Ruhe in etwas Vertrautem, Erholung vor der nächsten Zumutung. Z.B. das Improvisando „Après Nigun“ von Ernest Bloch, das gänzlich auf Melodie verzichtet und nur Ausdruck einer inneren Stimme des Komponisten sein soll, die er beim Lesen des Alten Testaments 1923 zu hören meinte. Wir nehmen nur ungewohntes Tonwerk wahr, ohne Rhythmus und Logik und ohne Schönheit.

Selbst Duports Etude Nr. 7 aus dem 19. Jahrhundert bringt emotional nichts zum Schwingen, trocknet das Gehirn durch so etwas wie Baulärm aus und zieht an den Nerven. Kein romantisches Cellospiel wird erkennbar, keine musikalische Ãœppigkeit genussfähig serviert. Das bessern auch nicht die „vorwärtsdrängenden brutalen Dissonanzen“ von Maurice Ravels Sonate von 1920-1922, mit „besonders jähen atonalen Sprüngen“, wie selbst das Programmheft zugibt. Mich wundert nicht, dass die Sonate bis heute selten gespielt wird, weil sie wirklich sehr „besonders“ ist.

„Rohes Geräusch“ verspricht auch das Stück von Ligeti und enttäuscht damit nicht die Erwartungen. Immerhin gibt es mal keine krächzenden Akkorde, im „brutal gezupften Glissando“ sind einzelne Töne zu unterscheiden. Das Ganze soll die schmerzhafte Erinnerung an einen Fahrradunfall reflektieren und rein intellektuell trifft das Werk damit sicher den Punkt. Und übertrifft sicher das Leid eines aufgeschlagenen Knies, vervielfältigt das Leid beim Hörer noch deutlich.

Der „Hero of the Cello“ Lipkind erhält braven Applaus, eine Zugabe gibt es nicht. Ich frage mich, wie man sich ein Leben lang mit so etwas beschäftigen kann, wie man das aushält.

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Beitragsbild: Javier-Rodriguez @pixabay, 05.07.2021.

1440.1   Mirke, 2013.  

1440.2   TeranceBaron @dailymotion, Terms & Conditions, 05.07.2021.  

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