Federico de Madrazo: Sensationen im Prado

Man betritt Saal 61 für die spanische Kunst des 19. Jahrhunderts im Madrider Prado, und rechts begrüßt einen – fast in Lebensgröße – die Gräfin de Vilches, Amalia de Llano y Dotres [1]. Das auffallende Porträt der selbstbewusst, entspannt und leicht spöttisch lächelnden Frau, die sich mit den Fingerspitzen der rechten Hand zart ans Kinn fasst, ist ein Werk des spanischen Malers Federico de Madrazo y Kuntz (* 9. Februar 1815 in Rom; † 10. Juni 1894 in Madrid).

Als das Gemälde 1853 entstand, war die Adlige knapp 32 Jahre alt und hatte in der Kulturszene Madrids schon eine zentrale Rolle. Sie spielte Theater [2], organisierte einen Litera­rischen Salon und ver­suchte sich später als Schrift­stellerin [3]. Sie galt als „schöne Frau mit Witz und Charme, eine gute Ge­sprächs­part­nerin und aus­gezeich­nete Reite­rin“ [4]. Ihr erster Roman „Ledia“ erschien 1868 unter dem Pseudo­nym „Con­tessa de ***“ zunächst in Fort­setzungen in der Zeit­schrift Revista de Espana. Er gilt als wichtiger früher Beitrag zur Frauen­literatur [5]: Zwangs­ehe und Ehe­bruch (durch die Frau) wurden in der Lite­ratur eigentlich erst später Thema. Von Zeit­ge­nossen wie dem Artillerie­kommandeur und Literatur­kritiker Luis Vidart wurde ihr heute weit­gehend ver­gesse­ner Debüt­roman damals wohl­wollend aufge­nommen und ge­lobt [6] – man stand sich politisch nahe. Sein Lob galt vor allem ihrer treffenden Beschreibung des Lebens der Madrider High Society – der „Aristokratien des Blutes […] in der Sprache der Salons“ [7]. Die Salonszene Madrids blühte während der Regentschaft Isabellas II. besonders auf. Sie bot aristokratischen Frauen eine Möglichkeit, sich intellektuell zu betätigen – Universitäten oder die Diplomatie waren ihnen nicht zugänglich. Der Roman ist heute noch bzw. wieder erhältlich – allerdings nur auf Spanisch [8]. Das Buch segelt sozusagen im Windschatten von Madrazos Porträt.

Ledia

Die Marquise von Molina (Ledia) ist eine junge Frau, die sich gegen die Zwangs­ehe auflehnt. Weitere Figuren sind ihr älterer Freund und Berater, der Herzog von Ateca, sowie zwei junge Ritter, die eine Drei­ecks­be­ziehung mit der Mar­quise bilden: Enrique, Graf von Mar­cilla, ihr gut­aus­sehender Neffe und Verlobter, und der ange­sehene Dichter Ernesto de Moncada, der zum Verehrer der Marquise wird. Ledia ist hin- und herge­rissen zwischen ihrer Ver­pflich­tung gegen­Ã¼ber Enrique und ihrer Leiden­schaft für den Dichter. Sie zieht sich in ein Kloster zurück, aus dem sie von ihrem gelieb­ten Dichter schließ­lich gerettet wird. Die Prota­gonistin kämpft gegen die gesell­schaft­lichen Erwar­tungen und ihre Rolle als Ehe­frau. Der Roman enthält zahl­reiche litera­rische und poe­tische Refe­renzen sowie detail­lierte Beschrei­bungen prunk­voller Gegen­stände, Stoffe, Wand­teppiche, Möbel, Lampen und Gold­schmiede­kunst, auch von Opern und Klavier­stücken – womit die Gräfin de Vilches ihr pro­fundes Kunst- und Musik­ver­ständnis belegte [9].

Der zweite Roman „Berta“ erschien in ihrem Todes­jahr 1873 zunächst auch als Fort­setzungs­roman [10]. In beiden geht es um die Suche nach weib­licher Iden­tität und Aus­ein­ander­setzung mit Normen und Zwängen der spani­schen Gesell­schaft jener Zeit, vor allem der üb­lichen Zwangs­heirat in jungen Jahren. Ihr Debüt­roman ent­hält auto­bio­grafische Züge, möglicher­weise ent­spricht die darin geschil­derte Leiden­schaft für Ernesto de Moncada zeitweise ihrem eigenen Ver­hältnis zu Federico de Madrazo. Belegt ist eine enge Freund­schaft des verhei­rateten Malers zur ebenfalls verhei­rateten Gräfin. Regel­mäßig nahm Madrazo an ihren Musik­abenden teil, an denen sie, vom Klavier begleitet, sang. Für das Porträt, das als Meister­werk der spanischen Roman­tik gilt und als Madrazos bestes Werk, verlangte er von ihr nur die Hälfte des üb­lichen Preises [11]. Man besuchte gemein­sam Palast- und Bot­schafts­feste, Musik- und Theater­abende [12]. Das Prado-Museum nennt ihr Verhältnis „eine große Freundschaft“, welche „den beson­deren Charme und die exquisite Eleganz“ erkläre, die der Maler in diesem Porträt zu er­reichen vermocht habe.

Die Gräfin von Vilches entstammte einer wohlhabenden Familie des Handelsbürgertums in Barcelona. Ihre verwitwete Mutter heiratete Francisco Falcó y Valcárcel, IX. Marquis von Almonacid de los Oteros, wodurch der Zugang zu adligen Kreisen möglich wurde. Die Gräfin galt als bedingungslose Unterstützerin von Isabella II., die ihrem Ehemann Gonzalo de Vilches den Titel eines Grafen verliehen hatte. Sie war „glühende Katholikin“ und stand als gesellschaftliche Aufsteigerin auf der Seite der bourbonischen Restauration. Ihre verschwenderischen Ausgaben sicherten ihr die Zugehörigkeit zum „erlesensten Kreis des Hofes von Isabella II., und in ihrem Haus trafen sich die höchsten politischen Autoritäten, die die Restauration unterstützten“ [13].

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Abb.3: Saal 61 mit Gemälden von Federico de Madrazo, zum virtuellen Rundgang aufs Bild klicken.

Das Gemälde zeigt die Gräfin in hellblauem Satin mit wenig Schmuck, in einer ungewöhnlichen seitlichen Haltung sitzend. In ihrer rechten Hand hält sie locker einen Federfächer mit einer Geste, die symbolisch auf ihre Schreibleidenschaft hindeuten soll. Der Vordergrund hebt sich hell, „gut ausgeleuchtet“ vom eher schattigen Hintergrund ab und erzeugt so – neben der minutiösen Schärfe des Gesichts – eine starke Plastizität und Lebendigkeit, die ihresgleichen sucht und ganz erstaunlich, fast fotorealistisch und modern wirkt [14]. Sie wirkt auf uns heute vielleicht deshalb modern, weil wir aus Werbung und social media idealisierte Darstellungen von Menschen gewohnt sind – KI toppt dies gerade noch. Im Vergleich zur Fotografie können die Porträts Madrazos als schöner gelten, aber nicht als wirklichkeitsgetreu (vgl. Abb. 9 und 10).

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Abb.4: Die Schriftstellerin Carolina Coronado (um 1855).

Carolina Coronado

Carolina Coronado (*1820, †1911) war eine bekannte spanische Schriftstellerin, Dichterin und Dramatikerin. Sie stammte aus einer wohlhabenden relativ progressiven Familie in Almendralejo bei Badajoz (an der Grenze zu Portugal) und brachte sich gegen alle Widerstände autodidaktisch Lesen und Schreiben bei, lernte Französisch und Italienisch. Sie litt an chronischer Katalepsie. Mit 19 Jahren veröffentlichte sie ihr erstes Gedicht, das von dem umstrittenen Dichter José de Espronceda in den höchsten Tönen gelobt wurde. Unterstützung erhielt sie ferner durch den deutsch-spanischen Schriftsteller Juan Eugenio Hartzenbusch. 1843 erschien der erste Gedichtband, mit Hilfe eines Stipendiums des Liceo Artístico y Literario de Madrid und nach der Heirat mit dem amerikanischen Diplomaten Horatio Justus Perry lebte sie jahrzehntelang in Madrid. Sie schrieb Essays, eine Reihe (Fortsetzungs)romane, sogar ein Reisetagebuch und Theaterstücke. Sie war angesehene Hofdame von Isabella II. und persön­liche Freundin der jungen Königin, veranstaltete Literarische Salons unter dem Namen Hermandad Lírica Femenina (Lyrische weibliche Schwesternschaft) und organisierte gesellschaftliche Feste sowie musikalische Events. Ihr Palast von Besecur soll auch Zufluchtsort für Verfolgte gewesen sein. Sie bekannte sich zur Abschaffung der Sklaverei. 1873 emigrierte die Familie nach Lissabon, wo sie ihr gesellschaftliches Leben fortsetzte. Nach dem Tod ihres Mannes zog sie sich – dank finanzieller Unterstützung durch Tochter Matilde – in den Palácio da Mitra zurück und gab die literarischen Ambitionen auf [15].

Anders als die deutsche Romantik betonte die spanische nicht die Erhabenheit einer Landschaft wie etwa Caspar David Friedrich. Ihr ging es um mensch­liche Indivi­dualität, Ausdruck, emo­tionale Tiefe und Inten­sität. Allerdings war die Romantik Spaniens in den Jahren 1845-1860, als Madrazos beste Porträts ent­standen, schon weit­gehend dem Realismus gewichen. In seinem Fall könnte man daher vielleicht tref­fender von „roman­tischem Rea­lismus“ oder „Salonidealismus“ sprechen.

Seine Frauen­porträts zeigen nicht nur präch­tige Gewänder, deren Details bis zum Falten­wurf akribisch ausge­arbeitet sind. Der Künstler fing die Wirkung dieser adligen Damen würdevoll ein, ihren Charakter. Die porträ­tierten Frauen blicken den Be­trachter ohne Scheu oder Schüchtern­heit unver­wandt an, oft mit einem kleinen, belustigten Schmunzeln, einer leichten Ironie. Manchmal zeigt sich eine gewisse Langeweile, distan­zierte Gelassen­heit wie bei María Dolores Aldama, Markgräfin von Montelo (Abb. 5) oder eine stolze Ernst­haftig­keit der Macht bei Isabella II., Skepsis wie bei der briti­schen Bankier-Frau Sabina Seupham Spalding. „Mit delikater Schärfe“ etwa fange Madrazo „den sensibel-melan­cholischen Charakter von Carolina Coronado ein“, heißt es auf der beglei­tenden Text­tafel im Prado.

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Abb. 5: María Dolores Aldama, Markgräfin von Montelo (1855).

María Dolores Aldama

María de los Dolores de Aldama y Alfonso (*1819, †1884) war die Tochter eines wohlhabenden baskischen Landbesitzers mit Sitz in Kuba, Domingo Aldama y Arechaga und von María Rosa Alfonso y Soler. In Havanna heiratete sie 1835 ihren Cousin José Ramón de Alfonso y García de Medina und pendelte zwischen Havanna, Paris und Madrid. Die Familie besaß auf Kuba Zuckerplantagen, Zuckerfabriken, mindestens 100 Sklaven und 90 (asiatische) Kulis. In Madrid war die Markgräfin für Soiréen in ihrer Residenz bekannt war, versuchte sich auch in der Literatur und verfasste Gedichte und Romane wie „El guante“ (Der Handschuh) und „Dos cartas“ (Zwei Briefe) [16].

Kein anderer hat Individualität so eindrücklich auf die Leinwand gebracht. Man könnte Federico de Madrazo y Kuntz als Maler des Lächelns bezeichnen, aber das träfe nicht auf alle seine Gemälde zu – vor allem nicht auf die Porträts seiner männlichen Zeitgenossen (Madrazo hat insgesamt mehr als 600 Porträt gemalt [17]). Gerade die Idealisierung der Frauen und die Abwesenheit intellektueller Symbole (wie z.B. von Büchern bei Schriftstellerinnen) in deren Porträts wirft ein Teil der heutigen Feministinnen dem Maler und seinen „Modellen“ rückblickend vor. Ãœber Jahrhunderte seien Frauen nur als „hübsches Inventar“ dargestellt worden, wie Vasen, und so sei es auch hier [18]. Diese Kritik von Esther Tauroni Bernabeu erscheint mir zu pauschal und zum Teil sachlich falsch – im Gemälde von Sabina Seupham Spalding sieht man z.B. auf dem Tisch drei Bücher und Carolina Coronado hält in ihrer rechten Hand eine (Schreib)feder. Sich vorteilhaft darstellen zu lassen (vgl. Abb. 8 und 9) ist auch nicht automatisch mit mangelnder Gleichstellung verbunden. Genau dieses gilt als besonderes Talent Madrazos: „die physische Realität seiner Modelle zu verschönern, ohne lügen zu müssen“ [19].

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Abb. 6: Sabina Seupham Spalding, 3. Ehefrau des britisch-stämmigen Bankiers Henry O’Shea (1846).

Sabina Seupham Spalding

Sabina Julia Seupham Spalding war die Tochter von Diego Seupham und Isabela Spalding, aus Lincoln (England). Sie heiratete den Bankier Henry O’Shea am 15. März 1831. Sie muss literarische Hobbys gehabt haben – darauf sollen die Bücher hindeuten, die auf dem Porträt zu sehen sind. Mit dem amerikanischen Schriftsteller Washington Irving verband sie eine enge Freundschaft.

Feministische Kritik ist am ehesten wohl in diesem Fall angebracht, denn weitere biografische Daten sind über Sabina Seupham Spalding nicht zu finden – dafür umso mehr Lob zu dem gelungenen Gemälde und Texte über Kleid und Schmuck, die ihren gesellschaftlichen Status belegen. Das Gemälde gilt als eines der besten Ganz­körper-Frauen­porträts Madrazos aus seiner „inten­sivsten roman­tischen Periode“ und zeigt passend zur Porträ­tierten den Einfluss der engli­schen Romantik auf den Maler [20].

Bei dieser Kritik aus der Gegenwartsperspektive besteht ferner die Gefahr, den „konservativen Feminismus“ jener Zeit in Spanien zu unterschätzen, wie er etwa durch die Schriftstellerin Gimeno de Flaquer (1850 – ­1919) repräsentiert wurde, die auch an den Literarischen Salons von Carolina Coronado teilnahm [21]. Gimeno vertrat die Ansicht, dass Frauen und Männer durchaus von Natur aus unter­schied­liche Bega­bungen und Neigungen haben können, dies aber einer Gleich­berechtigung nicht im Wege stünde und trat für Bildungs­teil­habe ein. Denn intellektuell seien Mann und Frau gleich­wertig. Eine Legitimation für die Gleich­stellung glaubte sie auch im Christen­tum zu finden [22], so sei Jesus Christus der „Weg­bereiter des Femi­nismus“ gewesen. Der Inhalt des Femi­nismus sei in der katho­lischen Trauungs­formel aufgehoben, die unter Rück­bezug auf die Bibel, Gen 2,18 verkündet: „Eine Gefährtin gebe ich Dir, keine Dienstmagd“ [23].

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Abb. 7: Gertrudis Gómez de Avellaneda, spanisch-kubanische Schriftstellerin (1857). Das Gemälde hängt nicht im Prado, sondern im Madrider Museo Lázaro Galdiano.

Gertrudis Gómez de Avellaneda

Gertrudis Gómez de Avellaneda (*1814, †1873) war eine bekannte spanisch-kubanische Schriftstellerin, sie publizierte unter dem Pseudonym „La Peregrina“ (➥ Millionen-Perle fast zerbissen). Die Tochter eines kubanischen Flottenkommandanten pendelte zwischen Kuba und Spanien, ließ sich ab 1840 dauerhaft in Madrid nieder. Sie veröffent­lichte eine Reihe Romane, deren bekann­tester „Sab“ (1841) sein dürfte, der auch auf Deutsch er­schienen ist und als erster Anti-Sklaverei-Roman gilt [24]. Avellaneda wird als eine der ersten Schrift­stelle­rinnen des latein­ameri­kani­schen Romans und als Vor­läuferin des modernen Femi­nismus gesehen. Von zeit­genössi­schen Literatur­kennern wurde sie als „eine der größten Dichte­rinnen der spanischen Sprache be­trachtet“. Ab 1840 war sie wichtiger Teil der Madrider Salon­szene und des Netzwerks um die Hermandad Lírica Femenina (Lyrische weibliche Schwesternschaft) von Carolina Coronado. Ihre Romane waren deutlich sozial­kritisch und femini­stisch ausge­richtet. Sie galt als „nach Isabel II. wichtig­sten Frau in ganz Madrid“ [25].

Federico de Madrazo y Kuntz stammte aus einer bekannten Künstlerfamilie: Sein Vater war der Historienmaler José de Madrazo y Agudo, seine Mutter Isabel Kuntz Valentini eine Tochter des schlesisch-polnischen Malers Tadeusz Kuntze. Auch sein Bruder Louis und sein Sohn Raimundo wurden Maler, seine Brüder Pedro und Juan Kritiker bzw. Architekt. Federico erlebte Rom, wo sich seine Eltern kennengelernt hatten, zunächst nur als Kleinkind – die Familie zog 1819 nach Madrid, da sein Vater zum Hofmaler bei Ferdinand VII. (dem Vater Isabellas II.) ernannt worden war. Seine erste künstlerische Ausbildung erhielt er von seinem Vater, dann von Carlos Luis de Rivera, Esteban Velazquez und José Aparicion. Nach Besuch der königlichen Akademie von San Fernando ging er 1832 nach Paris, um bei dem deutschen Porträtmaler Franz Xaver Winterhalter und dem damals als Porträtmaler beliebten französischen Künstler Jean-Auguste-Dominique Ingres seine Studien fortzusetzen, der mit seinem Vater befreundet war. Sein Gemälde „Die Enthaltsamkeit des Scipio“ brachte ihm im Alter von neunzehn Jahren die Aufnahme in die „Royal Academy of Fine Arts“ in San Fernando.

Gonzalo Fernández de Córdoba at the Battle of Cerignola - Federico de Madrazo (1835)

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Abb. 8: Gonzalo Fernández de Córdoba at the Battle of Cerignola – Federico de Madrazo (1835) in Saal 61 des Prado.

Zum Abschluss seines Parisaufenthalts entstand 1835 das wandfüllende Gemälde "Gonzalo Fernández de Córdoba bei der Schlacht von Cerignola" (Abb. 8), das sich ebenfalls im Saal 61 des Madrider Prado findet [26] – Madrazo war gerade 20 Jahre alt. Auffallend sind hier bereits der hell „ausgeleuchtete“ Vordergrund, die Hell-Dunkel-Kontraste und Reflexionen auf den Rüstungen, die charaktervollen Gesichter. Im gleichen Jahr zog er nach Madrid zurück, gründete mit seinem Bruder Pedro und dem Schriftsteller Eugenio de Ochoa die Kunstzeitschrift El Artista, Federico war für die Illustrationen zuständig [27].

Königin Isabella II. von Spanien


…

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Abb. 10: Madrazo-Gemälde von Isabella II. (1848) im Alter von 18 Jahren.


Gemäß der regulären Thronfolge wäre Don Carlos, der Bruder von Ferdinand VII., 1833 König geworden. Doch Ferdinand hatte eine Pragmatische Sanktion erlassen, wonach nun auch Frauen Monarchinnen werden durften. Ferdinands Tochter Isabella II. Maria Luisa (*1830, †1904) wurde somit offiziell – im Alter von 3 Jahren – Thronfolgerin. Die Regentschaft übernahm ihre Mutter und vorübergehend General Baldomero Espartero. In einer schwierigen Zeit des gesellschaftlichen und technisch-industriellen Umbruchs gab es Intrigen, schnelle Regierungswechsel, Putschversuche, Aufstände und Bürgerkriege. Stets behielt das Militär erheblichen Einfluss. Isabella galt zeitlebens als „unwissend, aber schlau“, „träge und zerstreut“, launenhaft und „wenig an geistigen Dingen interessiert“ [28]. Schon mit 13 Jahren wurde sie für volljährig erklärt und 1846 mit ihrem Cousin Francisco de Asís de Borbón zwangsverheiratet [29]. Isabellas Zeit (1833 – 1868) war geprägt von Auseinandersetzungen zwischen Moderados (Ultrakonservativen, Adligen) und Progresistas (Progressiven, Frühsozialisten). Sie hielt sich einen großen Hofstaat, führte ein ausschweifendes Leben, hatte zahlreiche Geliebte und mehrere, wahrscheinlich außereheliche Kinder, zuletzt 1857 den späteren König Alfons XII [30]. Sie stand wegen ihres Lebenswandels oft in der Kritik. Ihre Zeit endete, als ein gemeinsamer Aufstand von Mitgliedern beider politischer Grundströmungen im Spätsommer 1868 – mit der sogenannten Gloriosa – Erfolg hatte. Isabellas Herrschaft brach „fast widerstandslos zusammen“ [31], damit hatte die aristokratische Salonszene Madrids ebenfalls ihr Ende gefunden. Die Königin lebte bis zum deutsch-französischen Krieg von 1870 in Paris im Exil und vorübergehend in der Schweiz.


Nach einem weiteren dreijährigen Aufenthalt in Paris zog es Madrazo 1840 nach Rom, wo er die Schule der Nazarener [32] kennen- und schätzen lernte. Diese bildete Anfang des 19. Jahrhunderts eine Art klösterlicher Gemeinschaft, bestehend aus Abtrünnigen der Kaiserlichen Akademie der bildenden Künste (Wien), wo nach ihrer Ansicht und zu ihrem Leidwesen formale Technik und Disziplin vor inhaltlichem „Ausdruck“ standen. Die Gruppe aus Deutschen und Österreichern taten sich im „Lukasbund“ zusammen und suchten den vermissten Ausdruck in romantischen und insbesondere in mittelalterlich-religiösen Themen. Ideal erschien den Künstlern die Epoche um 1500, das „Goldene Zeitalter“ der Renaissance. Als einer der Hauptvertreter der Nazarener gilt Johann Friedrich Overbeck, zu dem der 25 Jahre jüngere Madrazo in Rom Kontakt hatte.

Für die katholischen Mittelalter-Schwärmer hatte der deutsche nicht-katholische Natur-Romantiker Caspar David Friedrich nichts übrig: „Alle Fehler jener Zeit äfft man teuschend nach, aber das Gute jener Bildwerke […] lässt sich freilich nicht […] nachahmen und es wird den Heuchlern nie gelingen“ [33]. Der Einfluss der „Nazarener“ auf die spanische Romantik kann aber als erheblich eingeschätzt werden. Der Einfluss der beiden römischen Jahre war denn auch auf Madrazo groß, er schlug sich z.B. deutlich in seinem Werk Las Tres Marías en el Sepulcro (Die drei Marien am Grab) nieder, aber auch in der Plastizität seiner späteren Porträts.

Interessant ist, dass sich diese Stilrichtung, die sich zunächst ja gegen die Ãœberbetonung der Form und den Mangel an Ausdruck gewandt hatte, in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts selbst zum Kitsch verkam. Die deutsche Kunstkritikerin Sigrid Metken bezeichnete die Spätnazarener als „blutleere und sentimentale religiöse Imagerie, die bis zum Zweiten Weltkrieg lebendig war und in ihren letzten Ausläufern noch heute faßbar ist. Es wird in etwa als deutsches Äquivalent jenes kirchlichen Kunstgewerbes verstanden, das in Paris um die Kirche Saint-Sulpice angesiedelt war und dessen standardisierte Serienproduktionen als Inbegriff schlechten Geschmacks gelten“ [34].

Wieder in Madrid musste der junge Künstler feststellen, dass an großen Gemälden über historische oder religiöse Themen weniger Interesse bestand, der Markt war gesättigt. Notgedrungen wandte er sich der Porträtmalerei zu. Fast ein Treppenwitz der Geschichte also, dass wir Madrazo heute für das besonders schätzen, was er zunächst nur widerwillig begonnen hatte.

Die „kindliche Königin“ Isabella II. bot ihm das Amt eines Hofmalers an, das ja schon sein Vater innehatte. „Er malte so viele Porträts für die Aristokratie, dass man sagt, er habe die spanische Gesellschaft seiner Zeit verewigt“ [35]. Bei nationalen Ausstellungen wurden ihm 1838, 1839 und 1855 Goldmedaillen verliehen. 1846 wurde er zum Ritter der Ehrenlegion ernannt und 19. Juli bis 19. November 1868 zum Direktor des Museo del Prado (wie ebenfalls schon sein Vater) sowie zum Präsidenten der Akademie von San Fernando. Die liberale Revolution (Gloriosa) zwang ihn zum Rücktritt. Nach der Restauration unter Isabellas Sohn Alfons XII. war Madrazo vom 14. Mai 1881 bis zu seinem Tod erneut Direktor des Prado und Mitglied verschiedener Kunstakademien.

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Literatur & Medien

(IBH) Inmaculada Blasco Herranz: Konservativer Feminismus im katholischen Spanien des 19. Jahrhunderts: Gimeno de Flaquers „Evangelios de la Mujer“.

(MPM) Mariángeles Pérez-Martín: Das literarische Debüt der Gräfin von Vilches (spanisch). Universität von Valencia, übersetzt von DeepL 13.12.2024.

(WB) Werner Busch: Romantisches Kalkül. ISBN: 978-3-98761-003-5.

Fußnoten

[1] Das Gemälde hat die Maße 126 x 89 cm – museodelprado.es: Amalia de Llano y Dotres, condesa de Vilches

[2] Ebda. und (MPM), S. 203: In ihrem Haus gab es zahlreiche private Tanz-und Theater-Aufführungen, beraten durch Regisseur Florencio Romea

[3] wikipedia.org: Amalia de Llano. Häufige Teil­neh­merinnen waren die Schrift­stelle­rinnen Carolina Coronado und Gertrudis Gomez de Avellaneda. Schon vor der Ver­Ã¶ffen­lichung ihres Erst­lings über­setzte sie Dramen und versuchte sich an Texten – (MPM), S. 195f. 

[4] (MPM), S. 202. 

[5] Gegen Mitte des 19. Jahrhunderts entstand in Folge der Aufklärung in vielen Ländern Europas, den USA und in Australien die erste Welle des Feminismus und der Frauenbewegung. Frauen hatten kein Wahlrecht, konnten nicht studieren, die meisten Berufe blieben ihnen verwehrt und wenn nicht, erhielten sie deutlich weniger Lohn. Geschäftlich durften sie nur mit Zustimmung des Mannes tätig werden – wikipedia.org: Feminismus

[6] In ihrer Grabrede hieß es: „Ledia und Berta sind zwei Schöpfungen eines überlegenen Geistes, die von der intellektuellen Welt mit liebevoller Begeisterung aufgenommen wurden“ – (MPM), S. 197. – Die Gräfin de Vilches wurde ferner als Schriftstellerin genannt von Juan Criado in seiner Zusammenstellung „Literatas espanolas del siglio XIX“ (1889), vom Historiker Manuel Ossorio in seinem „Diccionario de escritoras espanolas del siglio XIX“ (1889) oder sogar auf Streichholzschachteln verewigt: Serie 27, gewidmet den „Célebres poetisas y grandes escritoras“ (1905) – (MPM), S. 194. 

[7] (MPM), S. 203. 

[8] amazon.co.uk: Ledia. Paperback – 27 Dec. 2023 – für £L8,30. 

[9] (MPM), S. 198ff. Auch Berlin spielt in dem Roman als Schauplatz eine Rolle – (MPM), S. 200. Berlin hatte 1867 schon etwa 702.400 Einwohner – en.wikipedia.org: Berlin population statistics

[10] (MPM), S. 196. Es existierte ferner das Fragment eines dritten Romans, der vermutlich unveröffentlicht blieb und verschollen ist. Dieses Fragment zeige „die tiefe, vom Pietismus der deutschen Romantik durchdrungene Religiosität, die angesichts der Natur erschaudert, …“ – (MPM), S. 202. 

[11] en.wikipedia.org: Amalia de Llano; museodelprado.es: Amalia de Llano y Dotres, condesa de Vilches. 4.000 Realos von 1853 entsprechen einem heutigen Betrag (2024) von etwa 22,357.65€ – measuringworth.com: MeasuringWorth ist ein Dienst zur Berechnung des relativen Wertes im Laufe der Zeit

[12] (MPM), S. 195. 

[13] (MPM), S. 203. Vgl. auch (MPM), S. 195 und 198. 

[14] Youtuber wie Jose Manchado hat diese Lebendigkeit dazu verführt, sich an einer KI-Animation der Madrazo-Gemälde zu versuchen – youtu.be: Federico de Madrazo animated paintings. Als gelungen kann man diesen Versuch wohl nicht bezeichnen, eher als Verzerrungen. 

[15] wikipedia.org: Carolina Coronado, lifeder.com: Carolina Coronado, dbe.rah.es: Carolina Coronado Romero de Tejada

[16] geni.com: María de los Dolores Aldama Alfonso, museodelprado.es: María Dolores Aldama, Marchioness of Montelo, eu.wikipedia.org: María Dolores Aldama Alfonso

[17] lacamaradelarte.com: Comentaria histórico artístico de la Condesa de Vilches

[18] tribunafeminista.org: Los floreros del patriarcado: el retrato de Amalia de Llano, de Federico de Madrazo

[19] ecured.cu: Federico Madrazo

[20] museodelprado.es: Sabina Seupham Spalding. Ein Einfluss der britischen Romantik zeigt sich danach an der Gestaltung des Hintergrunds mit seinem malerischen Park, mit einer von Bäumen umgebenen Lagune und Sonnenuntergangsstimmung. Wir stehen hier aber nicht – wie bei den deutschen Romantikern – unmittelbar in der Landschaft, sondern diese ist Triptychon im Hintergrund, Attribut zum Porträt. 

[21] Vgl. (IBH), S. 160. 

[22] (IBH), S. 158f. 

[23] Zitiert nach (IBH), S. 163f. Gimeno berief sich auf umstrittene katholische Autoritäten: etwa Bischof Félix Dupanloup von Orleans (1802­-1878), Papst Benedikt XIV., Erzbischof Franyois Fénelon von Cambrai (1651-­1715), Fray Martín Sarmiento (1695-­1772) und Erzbischof Louis ­Franyois Sueur von Avignon (1841-1914) – (IBH), S. 166f. 

[24]&nbspDieser Roman erschien noch vor noch vor Onkel Toms Hütte (1852) von der amerikanischen Schriftstellerin Harriet Beecher Stowe

[25] de.wikipedia.org: Gertrudis Gómez de Avellaneda, es.wikipedia.org: Gertrudis Gómez de Avellaneda

[26] muesodelprado.es: Gonzalo Fernández de Córdoba at the Battle of Cerignola. Es ist 134,30 cm hoch und 187,5 cm breit. 

[27] museodelprado.es: Madrazo y Kuntz, Federico de, de.wikipedia.org: Federico de Madrazo y Kuntz, ecured.cu: Federico Madrazo, buscabiografias.com: Federico Madrazo y Kuntz

[28] de.wikipedia.org: Isabella II. (Spanien)

[29] Es handelte sich um eine Doppelhochzeit; ihre Schwester Luisa-Fernanda wurde entgegen einer Vereinbarung zwischen dem französischen König Louis-Philippe und der britischen Königin Victoria mit Louis-Philippes Sohn Antoine verheiratet. Auch das deutsche Haus Coburg hatte Anspruch auf Isabella erhoben, der spätere König von Belgien (Leopold) war zuvor erfolglos für eine Heirat im Gespräch gewesen (➥ Prinzen schufteten im Kleingarten) – de.wikipedia.org: Isabella II. (Spanien)

[30] Dieser hatte natürlich nichts mit „König Alfons dem Viertel-vor-Zwölften“ aus Michael Endes Kin­der­ro­man „Jim Knopf und Lukas der Loko­motiv­führer“ zu tun, Ende mag sich aber satirisch bei den schwierigen royalen Verhältnissen im Spanien des 19. Jahrhunderts bedient haben (➥ Wo ist Lummerlands Eisenbahn?). 

[31] de.wikipedia.org: Isabella II. (Spanien)

[32] Der Name „Nazarener“ im stilkundlichen Sinn wurde wahrscheinlich erst im Nachhinein geprägt. Zum ersten Mal in schriftlicher Form findet er sich in diesem Zusammenhang 1891 in den Jugenderinnerungen des Malers Wilhelm von Schadow. Die Gründungsmitglieder des Lukasbundes, der Keimzelle dieser Kunstrichtung, haben sich selbst so nicht bezeichnet – de.wikipedia.org: Nazarener (Kunst)

[33] Zitiert nach (WB), S. 24. 

[34] Zitiert nach de.wikipedia.org: Nazarener (Kunst), Die Trivialisierung eines Kunstideals. 

[35] ecured.cu: Federico Madrazo

Beitragsbild: Das Bild zeigt Federico de Madrazo y Kuntz, gemalt von seinem Sohn Raimundo de Madrazo y Garreta. Public Domain, via Wikimedia Commons. Bearb. durch Mirke, 12.10.2024.

21906.1   Museo Nacional del Prado, autorisierter Bilddownload für persönliche Websites, Blogs und soziale Medien, 09.12.2024.  

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21906.3   Museo Nacional del Prado, La colección, Screenshot, 09.12.2024.  

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21906.6   Museo Nacional del Prado, autorisierter Bilddownload für persönliche Websites, Blogs und soziale Medien, 09.12.2024.  

21906.7   Museo Lázaro Galdiano, Federico de Madrazo y Kuntz, Public Domain, via Wikimedia Commons, 15.12.2024.  

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