Leere oder Wissen

Niemand war sonderlich überrascht von ihrem Besuch. Seit Jahren hatten sich die Astronomen auf die Entdeckung erdähnlicher Planeten geradezu eingeschossen. Etwas überraschend war ihr Aussehen, das – bei näherem Hinsehen – wenig „erdähnlich“ war.

Wir neigen dazu, im Neuen und Unbekannten nach kurzer Zeit das Vertraute zu sehen, vermutlich aus Bequemlichkeit. Einige Menschen verglichen sie mit Katzen. Das lasse ich nicht gelten, denn sie waren etwa drei Meter groß und besaßen bei näherem Hinsehen auch kein Fell. Was es war, lässt sich schwer beschreiben, am ehesten kann man von einer Art Federkleid sprechen oder von dünnen, aneinanderliegenden, fein zerfaserten, bunten Schuppen. Aber am fremdesten waren die Augen. Sofern man es Augen nennen konnte; es waren zwei schwarze übereinanderliegende Halbkugeln an dem, was wir Kopf nennen. Diese Augen zogen sie manchmal ein, vielleicht wenn sie müde waren. Astrobiologen erklärten Art und Anordnung der Sehorgane damit, dass es auf ihrem Heimatplaneten dunkler sei als auf unserer Erde und die Oberfläche dort viel schroffer. Daher seien die „Fellis“, wie manche unsere Besucher nach ein paar Tagen irrtümlich-freundlich nannten, gewohnt, sich vor allem an steilen Flächen auf und ab zu bewegen statt wie wir auf ebenen Flächen hin und her.

All diese wissenschaftlichen Versuche, das Fremde zu begreifen, erschienen mir irgendwie kläglich und unangemessen. Aber noch unangemessener reagierten manche „normalen“ Menschen. Vielleicht aus Angst unterstellten sie den Fremden, sie wollten uns schaden, die Erde besetzen oder umformen, brächten tödliche Krankheiten oder warteten nur auf eine Gelegenheit, die Menschheit auszurotten. Dabei schienen die Besucher kein großes Interesse an uns zu haben, obwohl sie doch viele Lichtjahre weit durch den Raum zu uns gekommen waren. Sie beobachteten uns scheinbar teilnahmslos und stellten keine Fragen.

Wenn ich ehrlich bin, kann ich eine gewisse Ängstlichkeit oder Skepsis ihnen gegenüber auch nicht verhehlen. Das hat natürlich mit der Art ihrer Ankunft zu tun. Wir wissen nicht, ob es Absicht war, aber ihr seltsames „Raumschiff“ hat bei der Ankunft den Raum gekrümmt und dabei leider etwas verändert, was wir für unabänderlich hielten: Der Mond ist näher an die Erde gerückt – und er dreht sich jetzt. Wir sehen nicht mehr nur das übliche „Mondgesicht“ mit den dunklen Maren, sondern je nach Tageszeit eine andere Seite unseres alten Begleiters. Er erscheint jetzt handtellergroß, man braucht bei Vollmond nachts keine Beleuchtung.

Nach einigen Wochen arrangierten wir uns mit den „Fellis“, die hier und da auftauchten, etwas mit ihren großen Kugelaugen zu beobachten schienen oder anscheinend einfach herumlungerten oder schliefen. Genauer wissen wir es nicht, denn die Kommunikation gelang nicht. Zumindest nicht so, wie wir es uns immer vorgestellt hatten. Unsere Verständigungsversuche auf mathemathischer, binärer oder boolescher Grundlage, auf Basis der chemischen Elemente ausgehend vom Wasserstoffatom oder mit Hilfe von Schriftsymbolen, Handgesten und Lauten scheiterten weitgehend. Zumindest passierte nicht das, was wir erwartet hatten.

Ich bin kein Experte für die Interpretation von Resonanz- oder Bewegungsmustern. Ich habe es immerhin soweit verstanden, dass einige Wissenschaftler in ihren geschmeidigen Bewegungen „getanzte“ Sprache entdeckt zu haben meinten. Einige professionelle Tänzer wurden instruiert, um eine Unterhaltung zu beginnen. Aber weit kamen wir nicht. Eine ihrer entschlüsselten Botschaften soll gelautet haben: „Wir suchen das Wissen“. Selbst wenn es wahr ist, bringt es wenig.

Wir hatten Schwierigkeiten damit, dass sie auf unsere Fragen nicht antworteten. Von Zeit zu Zeit erhielten wir weitere Äußerungen, die uns zusammenhanglos und vieldeutig erschienen. Lag dies an einer unzureichenden Kommunikation oder waren sie so anders? Zum Beispiel: „Es ist oder es ist nichts.“ Wir wollten ihnen unser Wissen geben, aber unsere Erklärungen quittierten sie mit – nichts. Vielleicht wollten sie diese Art Wissen von uns nicht.

Eines Tages verschwanden sie. Fast vermissten wir sie, denn unsere Forscherneugier war nicht befriedigt worden. Einige machten sich nun lustig über sie, es waren die gleichen, die sie vorher aus Angst verteufelt hatten. Vieles bleibt rätselhaft. Wenn ich jetzt den großen Vollmond betrachte, der uns sein neues, wechselndes Gesicht zeigt, denke ich an sie. Ich denke an die Leere zwischen ihrem Planeten und unserem. Eine Leere, die keine Fragen stellt.

142 Aufrufe – LDS: 10.03.2025

Beitragsbild: Free-Photos @Pixabay, 30.07.2021.

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