1927 erschien der Band „Sternstunden der Menschheit“ von Stefan Zweig, 14 historische Miniaturen, kurze Novellen. Anregende Gedankenspiele: Wie hätte sich wohl Frankreich, gar Europa entwickelt, wenn am 18. Juni 1815 vormittags Marshall Grouchy mit seinen Truppen befehlswidrig sofort nach Waterloo zurückgeeilt wäre, um Napoleons Hauptarmee in der entscheidenden Schlacht zu verstärken? Napoleon hatte ihn zur Verfolgung der Blücher-Armee entsandt, die am 17. Juni vorläufig geschlagen worden war. Aber Grouchy blieb weg. Und Blücher kam … Waterloo wäre sonst möglicherweise anders ausgegangen. Für eine Sekunde lag das Schicksal ganz Europas in den Händen eines mittelmäßigen Militärs – in denen von Grouchy.
Zweig pickte sich Augenblicke heraus, in denen die Entscheidung einzelner Menschen der Geschichte einen wichtigen Impuls gegeben hat – oder ihr auch einen anderen Verlauf hätte geben können. Ganz im Sinne des Schmetterlingseffekts: „Does the Flap of a Butterfly’s Wings in Brazil set off a Tornado in Texas?“ – so der Titel eines wegweisenden Vortrags Edward N. Lorenz‘ zur Chaostheorie 1972.
Eine solche „Sternstunde“ war – rückblickend – die Entscheidung des bayrischen Prinzregenten Luitpold I. im Jahre 1905, einem jungen Paar aus den Vereinigten Staaten den langfristigen Aufenthalt in der Pfalz zu untersagen. Der Mann war einer von 6 Söhnen eines Weinbauern aus Kallstadt, der in den USA mit zweifelhaften Unternehmungen seit 1891 reich geworden war. Er war nun zu Besuch in seiner Heimatstadt, in der vor allem Ehefrau Elisabeth gerne wieder sesshaft geworden wäre. So aber mussten sie mit Töchterchen Elizabeth wenig später das deutsche Reich endgültig gen New York verlassen, wo am 11. Oktober Sohn Frederick Christ Trump geboren wurde, der Vater von Donald John Trump, von 2017 bis 2021 der 45. US-Präsident und nun ab 2025 der 47.
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Mit 16 Jahren war der Großvater Donald Trumps als frisch absolvierter Friseurgeselle 1885 – kurz vor dem Wehrdienst – nächtlings von zu Hause aufgebrochen und hatte sich am 7. Oktober über Bremen mit dem 1884 gebauten Schnelldampfer „Eider“ in die Vereinigten Staaten aufgemacht. Er stand damit zum Leidwesen der bayrischen Staatsregierung nicht allein, wurde doch gerade in der Pfalz durch große US-Unternehmen intensiv um deutsche Auswanderungswillige geworben, es waren in den Vereinigten Staaten beliebte Arbeitskräfte. In den Jahren 1880-1890 wanderten mehr als eine Million Deutsche in die USA aus.
Im Jahr zuvor war auch Friedrichs Schwester Katharina ausgewandert, hatte in New York ihren Verlobten aus Kallstadt geheiratet. In deren 2-Zimmer-Wohnung in Manhattan kam Friedrich erstmal unter und arbeitete einige Jahre lang brav als Haarschneider in einem deutschsprachigen Friseursalon.
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Die Familientradition dubioser Geschäftspraktiken begründete der 22-jährige dann mit der Pacht einer Kneipe namens „Poodle Dog“ im Rotlichtviertel „Lava Beds“ (=’glühende Betten‘) in Seattle 1891, die er in „The Dairy Restaurant“ umbenannte und neu möblierte. Hier gab es Alkohol, Essen und bezahlten Sex im Hinterzimmer. Er änderte seinen Vornamen in Fred, wurde US-Bürger. Eine Erbschaft (die Mutter in Kallstadt zahlte ihn aus) und das Gerücht über reiche Gold- und Silbervorkommen nahe der heutigen Geisterstadt „Monte Christo“ ließen ihn 1893/1894 ins betrügerische Spekulationsgeschäft einsteigen. In Monte Christo baute er mit dem Erlös aus Seattle ein Boardinghaus (eine Art Arbeiter-Dauerhotel) – illegal auf Claimgrund, der schon jemand anderem gehörte.
Hier offenbart sich das Muster, nachdem auch spätere Trumps vorgingen: Sich auf halb legalem bzw. illegalem Wege Grund in aussichtsreicher Lage aneignen, darauf ebenfalls halb legal etwas bauen, mit dem Bedürfnisse oder Gelüste von Menschen teuer befriedigt werden, die sich in einer Zwangslage befinden.
Krumme Claim-Geschäfte liefen häufig so ab: Man besorgte sich ein paar kleine Nuggets oder andere vielversprechende Funde, behauptete dann, sie ausgegraben zu haben. Daraufhin konnte man die Fundstelle als Claim abstecken und registrieren, oft mit Unterstützung der korrupten Verwaltung. Weitere fingierte Funde oder Gerüchte konnten den Preis für den Claim nach oben schießen lassen. Anschließend wurde der ursprüngliche Claim geteilt und beide Teile wurden dann zum Zehn- bis Hundertfachen des Einstiegspreises verkauft. Das ließ Friedrich durch zwei angestellte Goldgräber am Hunker Creek ein paar Mal machen und hatte nun genug Geld, um selbst zum Klondike aufzubrechen.
Im Juli 1897 hatte der Goldrausch am Klondike begonnen und im Folgejahr zog Großvater Trump los, um dort „sein Glück zu machen“. Nicht als Goldgräber, sondern wieder als „Versorger“ – zunächst mit teuren Essensangeboten direkt am Trail (Motto: Mine the miners = Absahnen der Goldgräber), dann als Hotelbesitzer in Bennett. Der Trail war für viele Lasttiere ein Todesmarsch (er hieß nicht grundlos „Dead Horse Trail“) und in Trumps Versorgungszelten gab es praktischerweise Pferdefleisch-Gerichte.
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Bennett war Ausgangspunkt für die Fahrt zu den Goldfeldern, auf selbstgebauten Booten und Flößen. Trumps „New Arctic Restaurant and Hotel“ bot alleinstehenden Herren dort mehr als Nachtschlaf, importiertes Obst und Mittagessen: Alkohol, Glücksspiel und Prostitution. Auch diese Hotelunternehmung Trumps, zunächst wieder illegal errichtet, warf ausgiebigen Gewinn ab. Mit seinem Partner Ernest Levin zog er das luxuriöse Puffhotel wenig später per Floß in die neue Goldgräbersiedlung White Horse um (siehe Bild), stieg aber 1901 aus dem Geschäft aus – weil es Probleme mit Lewin gab, Polizeikontrollen wegen Schnapsausschank und Prostitution drohten und der Goldrausch abflachte. Gerade noch rechtzeitig, denn Lewin wurde wenig später verhaftet und das Lokal geschlossen.
Friedrich hatte genug Nuggets und Goldstaub kassiert, um als reicher Verwandter ins deutsche Kallstadt zurückzukehren. Dort begeisterte er sich für die junge Nachbarstochter Elisabeth Christ. Vielleicht hatte es ihm – nach Opium, Prostitution und Goldgier in seinem bisherigen Milieu in Seattle und am Klondike – auch der fromme Familienname „Christ“ der erst 22-jährigen angetan. Nach der Eheschließung 1902 in Ludwigshafen führte sie diesen jedenfalls wie einen zweiten Vornamen weiter – selbst ihr Sohn Fred, Donald Trumps Vater, nannte sich Fred Christ Trump, was ihm in New York später sicher bei seinen zweifelhaften Immobiliengeschäften nicht geschadet hat, die jedenfalls nicht vorrangig von christlicher Nächstenliebe geprägt waren.
Das Ehepaar zog zurück nach New York, in ein deutschsprachiges Viertel der Bronx. Aber Elisabeth war im „Big Apple“ nicht glücklich und sehnte sich nach ihrer beschaulichen Heimat. Friedrich ließ sich überzeugen und so dachte auch er endgültig daran, in Kallstadt neu zu beginnen.
In Kallstadt war Trump als wohlhabender Bürger willkommen, nachdem er demonstrativ sein kleines Vermögen von 80.000 Reichsmark (heutiger Wert etwa 320.000 €) bei der örtlichen Bank hinterlegt hatte: „Hier, in Kallstadt … legte [ich] meine Gelder verzinslich an und zahle Staatssteuern und Gemeindeumlagen“. Aber nach einem Dekret des Prinzregenten war allen vor dem dreijährigen Wehrdienst Ausgewanderten 1886 die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen worden. Die beantragte er nun erneut, unterstützt von Gemeinderat und Kanton. Die zuständige Innenbehörde in Speyer, der Hauptstadt der damals zu Bayern gehörenden Pfalz, lehnte Trumps Wiedereinbürgerung ab. „Dem derzeit in Kallstadt befindlichen amerikanischen Bürger und Rentner Friedrich Trump ist eröffnen zu lassen, dass er längstens bis zum 1. Mai lfd. Jrs. das bayerische Staatsgebiet zu verlassen, andernfalls aber seine Ausweisung zu gewärtigen habe.“ Die Frist wurde noch einmal um zwei Monate verlängert, der Beschluss aber nicht aufgehoben. Das Trump-Vermögen war noch nicht groß genug, um wie sein Enkel in die Kategorie „Too big to fail“ zu passen.
Friedrich verfasste ein bettelndes, flehendes, selbst für die Zeit ausgesprochen unterwürfiges Bittschreiben an Prinzregent Luitpold I. von Bayern (siehe Abb. unten). Darin schwärmte er über sich selbst, er entstamme einer braven, schlichten und gottesfürchtigen Winzerfamilie. Schon frühzeitig sei er zu allem Guten, „zu Fleiß und Gottesfurcht, zu regelmäßigem Besuch von Schule und Kirche sowie zu unverbrüchlicher Liebe und Treue … und zum unbedingten Gehorsam gegen die hohe Obrigkeit strenge“ erzogen worden. Durch Fleiß, Realitätssinn und „Gottes Segen, an dem schließlich doch alles gelegen,“ sei er in den USA reich geworden – glatte Lügen. Kallstadt sei froh, einen tüchtigen und leistungsfähigen Mitbürger zurückgewonnen zu haben. An anderer Stelle schrieb er über sich: „Ich bin ein ruhiger, friedfertiger Mann, nicht gewohnt in der Wirtschaft zu sitzen und mich lästig zu machen und kann versichern, daß meine Lebensführung eine solche ist, wie sie die obrigkeitliche Behörde billigt.“
Damit begründete er eine weitere Trump-Tradition: Ungeachtet aller Fakten gut klingende Märchen über sich zu verbreiten.
Wie „ein Blitz aus heiterem Himmel“ habe ihn die Ausweisungsnachricht getroffen. Das glückliche Familienleben sei getrübt, die „liebe Frau ganz angegriffen“, das Kind krank geworden. Warum nur die Ausweisung, fragt Trump in dem Brief. Sie seien doch „treue, loyale Untertanen, rechte Pfälzer, gute Bayern, die mit unbegrenzter Liebe und Anhänglichkeit an ihrem erhabenen Fürstenhause der Erlauchten Wittelsbacher hängen, treue Deutsche, die auch zu dem Erhabenen Kaiser und dem mächtigen Deutschen Reiche stehen.“ Wie das auf die lieben Mitbürger wirke, wenn ein so braver, solider Untertan wie er ausgewiesen werde, ganz abgesehen von dem großen materiellen Schaden. Da fleht und mahnt der Großvater desjenigen, der an der Grenze zu Mexiko eine Mauer bauen lässt und mit radikaler Ausweisungspolitik protzt.
Aber der „vielgeliebte, edle, weise und gerechte Landesvater“, der „schon so viele Tränen trocknete, so heilsam und gerecht und weise“, ließ sich nicht erweichen – das zunehmend militaristische Deutsche Reich hatte einfach entschieden was gegen „Drückeberger“. War es doch zu auffallend und verdächtig, dass Trump kurz vor der Wehrpflicht „abgehauen“ war und kurz nach deren Ablauf nun wieder Deutscher werden wollte.
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Erfolglose Bittschrift des Großvaters von Donald Trump an Luitpold I. von Bayern.
Dabei hätten wir ihm den Verbleib in Kallstadt doch so sehr gegönnt! Dann wäre auch sein Sohn Frederick Christ Trump in der Pfalz aufgewachsen, vielleicht harmloser Friseur geworden oder Weinbauer, und „The Donald“ vielleicht ebenfalls. Verpasste Sternstunde. Der Vorgang ist ein Beleg dafür, dass Abschiebungen mitunter das Problem nicht lösen, sondern nur verlagern und verstärken. Der verdrängte Großvater kehrt – psychoanalytisch betrachtet – als mächtiger, neurotischer Enkel auf die Weltbühne zurück – fast wie im Drehbuch zu einem schlechten Horrorfilm.
So jedenfalls gingen Friedrich und Elisabeth am 1. Juli 1905 mit ihrem Töchterchen an Bord der „Pennsylvania“ und reisten zurück in die Vereinigten Staaten. Auch weitere Gesuche aus New York wurden abgelehnt. Hier begann Großvater Trump den Handel mit Immobilien. Drei Monate nach der Rückkehr wurde sein Sohn Frederick jr. geboren und 1946 dessen Sohn Donald John.
Somit kann man eine Entscheidung des bayrischen Prinzregenten Luitpold I. von 1805 dafür verantwortlich machen, dass 2017-2021 ein geistig beschränkter, narzisstischer 70-jähriger Immobilienmogul und Showmaster als US-Präsident die Welt durcheinander brachte und dies mit Hilfe verrückter Milliardäre ab 2025 – nun 78-jährig – noch einmal versucht.
480 Aufrufe – LDS: 29.05.2024
● http://ueberhauptgarnix.blogspot.com/2016/11/frederick-trump.html
Ausführliche und übersichtliche Zusammenfassung der Biographie Friedrich Trumps, des Großvaters von US-Präsident Donald Trump.
● http://harpers.org/archive/2017/03/the-emigrants/
Englischsprachige Übersetzung des Gesuchs Friedrich Trumps an Luitpold I. mit der Bitte, ihm die deutsche Staatsbürgerschaft wieder zuzuerkennen.
Beitragsbild: Public Domain, 2017.
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2411.3 Public Domain (§64 UrhG) 1.08.2021. ▲
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