Spiel von Licht und Farben

Ich behaupte mal: kein Meer ist wie die Ostsee – obwohl ich nicht alle Meere dieser Welt kenne. Nirgends sonst gibt es diese schnellen Farbwechsel: Eben noch tiefblaues Wasser, gestochen scharfer Horizont. Jetzt ist die Horizontlinie schmal, wie mit einem dicken Bleistift gezogen, das Wasser grau wie der Himmel.


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Im nächsten Moment Pastelltöne: Im vordergründigen Flachwasser wie leuchtender, flüssiger Bernstein, dahinter grünlich wie der Pazifik. An manchen Tagen ist die Luft klar und der Horizont teilt Wasser und Wolken messerscharf in zwei Welten. Zu anderen Zeiten reicht das türkisfarbene Meer in der Ferne scheinbar in den Himmel, ein stufenloser Farbübergang ohne Grenzen. Mal scheint alles ruhig, flächig, dann wieder aufgeregt, dramatisch. An manchen Abenden wirkt das Wasser tiefblau, der Himmel leicht rötlich durchwirkt, während die Dinge am Ufer schon schwarz werden wie die heraufziehende Nacht.


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Hinzu kommt das meist sanfte, eher beschauliche Spiel der Wolken und Wellen. Weit entfernt sieht man Regen fallen, es sieht aus wie ein Vorhang, der über die Meeresbühne gezogen wird. Mitunter bauen sich dramatische Wolkengebilde auf (Beitragsbild), im Hinter- oder Vordergrund scheinwerferartig durch Sonnenspots ausgeleuchtet. Eine einzelne kleine weiße Wolke steht vor dunkler Fläche am Himmel. In der Bucht treffen Wellen aus unterschiedlichen Richtungen plätschernd aufeinander und erzeugen seltsame interferente Formen.

Immer wieder haben sich Künstler am Meer erprobt, aber immer stellte ich fest, sie malen sich nur selbst. Die Ostsee entzieht sich dem Festhalten, ihr Charakter ist malerisch nicht einzufangen, auch kaum durch Fotografie. Ein Atelier an der Haffkrug-Promenade stellt Meerbilder aus: Aber das Wasser sieht darauf starr aus, wie gedengeltes Blech. Es fehlt völlig das Leichte, Flüchtige, das Flüssige und Verschmelzende. Das Sanfte und Entgrenzte der See passt nicht in die Zeit; moderne Künstler sehen auch die Natur als Gefertigtes, als Werkstück, das es einzufrieren oder wie in Kunstharz einzugießen gilt. Eine andere Künstlerin bei Travemünde konzentriert sich auf die Dynamik des durchpflügten Meeres, Bugwellen wirken plastisch und bewegt. Dies darzustellen gelingt ihr gut. Aber die Farbpalette fehlt, die Vielgestaltigkeit des Wassers, das mal stumpfe Grau, mal edelsteinhafte Blau-Türkis, das Lapislazuli am Abend oder das Spiel von Gold-, Grün- und Blautönen an einem wechselhaften Sonnentag. Am besten ist es wohl Karl Hagemeister um 1915 gelungen, sowohl Dynamik als auch Farbspiel einzufangen. Auf seinen Gemälden spürt man fast den Wind und hört das Tosen der Brandung.


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Vielleicht, wenn man ein Jahr hier am Meer zubringen würde … Man müsste jeden Tag raus, von morgens bis abends, bei Wind und Wetter. Eine Kamera mit allerhöchster Auflösung und exakt kalibrierter Farbwiedergabe könnte vielleicht im Ansatz einfangen, was die Ostsee ist. Hunderte Aufnahmen wären nötig, um ihren Charakter herauszuarbeiten, viel Geduld, der Blick für die Nuancen und eine Fähigkeit, sich überraschen zu lassen.


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Beitragsbild: Mirke, 2017.

2511.1   Mirke (für 2 Fotos), 2017.  

2511.2   Mirke (für 2 Fotos), 2017.  

2511.3   Mirke, 2017.  

2511.4   Links: Karl Hagemeister – Die Welle, Public Domain, via Wikimedia Commons, 30.07.2017. Rechts: Karl Hagemeister – Meereswogen, Public Domain, via Wikimedia Commons, 30.07.2017.  

2511.5   Mirke (für 2 Fotos), 2017.  

2511.6   Mirke, 2017.  

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