Wer schläft, sündigt nicht – sagt ein altes Sprichwort. Also schlafen wir und stellen nichts an, versprochen! Das ist auch besser so, denn wer sich in der Nacht verletzt, wird dafür von der Natur zusätzlich bestraft. Ein Forscherteam um Nathaniel Hoyle hat am MRC Laboratory of Molecular Biology im britischen Cambridge jüngst herausgefunden, dass nachts erlittene Wunden 60% länger brauchen, um zu heilen [1]. Wer z.B. zwischen 24 und 4 Uhr morgens schlaftrunken auf die noch heiße Herdplatte fasst, muss sich im Schnitt 28 Tage mit der schmerzhaften Verbrennung herumschlagen. Wer sich dagegen tagsüber den frisch gebrühten Espresso über die Hand gießt, darf sich durchschnittlich nur 17 Tage mit der Wunde quälen. Wichtige Erkenntnis also für Heimwerker und Do-it-yourself-Amateure: Ãœbertreiben Sie’s nicht und machen Sie besser spätestens gegen Mitternacht Schluss. Denn nicht nur die Konzentration lässt nach, sondern auch die Heilkraft, wenn ein Malheur passiert.
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Die Forscher analysierten 118 Akten [2] von Patienten im Alter zwischen 18 und 60 Jahren mit leichteren Verbrennungen, daraus ermittelten sie die genannten Heilungszeiten. Im Labor fanden sie dann anhand von Zellkulturen heraus, dass sich sogenannte Fibroblasten tagsüber schneller zur Wunde bewegen, weil das Protein Aktin dann aktiver ist. Fibroblasten sind nicht-spezialisierte Zellen im Bindegewebe und z.B. zuständig für die Kollagen-Herstellung. Kollagene wiederum sorgen für den Zusammenhalt und die Festigkeit des Gewebes und sind an der Wundheilung wesentlich beteiligt. Über Aktin weiß man, dass es für mechanische Stabilisierung von Zellen sorgt und wichtig ist für die Funktion der Muskeln.
Im Falle einer Verletzung wandern die Fibroblasten also zum verletzten Gewebe und vermehren sich dort stark. Im Ergebnis schließt sich die Wunde. Dass dies tagsüber schneller geht, konnten die Forscher auch im Tierversuch an Mäusen nachweisen, denen sie kleine Schnittwunden beibrachten. Sie konnten auch bei den Nagern beobachten, dass die am Tag zugefügten Schnitte deutlich schneller heilten und fanden in diesen Wunden klar mehr Fibroblasten als bei den Nacht-Verletzungen.
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Das Wissenschaftlerteam folgte mit seinen Untersuchungen dem Forschungstrend der Chronobiologie, der von Jeffrey C. Hall, Michael Rosbash und Michael W. Young seit 1984 gesetzt wurde: die Entschlüsselung des Biorhythmus‘. Die drei Nobelpreisträger von 2017 wiesen nach, dass die innere Uhr zwar verstellbar ist – z.B. durch Licht/Dunkelwechsel – aber genetisch selbstregulierend gesteuert wird und vielfältige Auswirkungen auf den Organismus hat. Das Dizzy-Gefühl beim Jetlag ist also nur eine einfache Warnung des Körpers; wer dauernd gegen den Tag-Nacht-Rhythmus lebt, bekommt Probleme bis auf die zelluläre Ebene. In der Fruchtfliege konnte schon 1984 von Rosbash ein Gen nachgewiesen werden, das den Bauplan für ein Protein enthält, das nachts in den Zellen angehäuft wird und sich im Tagesverlauf wieder abbaut. Young identifizierte zehn Jahre später ein weiteres Gen, das die innere Uhr von Lebewesen beeinflusst. Das sich selbst regulierende System der inneren Uhr trägt den Namen TTFL (Transcription-Translation Feedback Loop).
Daher ist es den Forschern aus Cambridge wichtig, den Zusammenhang ihrer Heilungs-Forschungen mit denen der Medizin-Nobelpreisträger von 2017 hervorzuheben. Die These ist: Wie Blutdruck, Hormone, Körpertemperatur und Immunsystem folgt auch die Wundheilung der inneren Uhr. „Zum ersten Mal belegt dies, dass zirkadiäre Faktoren auch für die Wundheilung wichtig sind“, betonte John Blaikley aus dem Team. Er vermutet, als ein Ergebnis evolutionärer Entwicklung heilen Wunden tagsüber schneller, weil man sich in dieser Zeit am wahrscheinlichsten verletzt.
Vorschlag von Teamkollege John O’Neill ist nun, Methoden zu entwickeln, um Zellen über die wahre Tageszeit zu täuschen. Zur Beschleunigung der Heilung von Nachtwunden könnte man nach dem Unfall nachts schnell helles Tageslicht anmachen oder mit chemischen Wirkstoffen die innere Uhr verstellen. Auch die Ernährung kann übrigens die innere Uhr beeinflussen: Fettreiches verschiebt die Schlafphase nach hinten [3]. Wer sich spätabends verletzt, macht möglicherweise nichts falsch, wenn er sich schnell noch eine Portion Pommes Rot-Weiß reinpfeift. In der Regel aber sollte die Ernährung zu einer Stabilisierung der inneren Uhr beitragen und abends nicht zu kohlehydrat- und fettreich sein.
Ob unsere Gesundheitsfabriken (Krankenhäuser) aber zu Maßnahmen im Interesse der Patienten fähig und willens sind, ist stark zu bezweifeln. In einem Interview mit n-tv meinte der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Verbrennungsmedizin, Professor Henrik Menke: „Momentan ist das Fiktion.“ Er glaubt, tagsüber erlittene Verletzungen könnten möglicherweise auch einfach wegen einer besseren Erstversorgung schneller heilen. Und nicht wegen Fibroblasten, die der inneren Uhr folgen … Auf die Behandlung von Brandwunden in Deutschland habe das Forschungsergebnis keine Auswirkungen – schließlich könne man sich nicht aussuchen, wann man sich verbrennt [4]. Vielleicht sollte Herr Professor Menke erstmal die Studie lesen, bevor er sich so verständnislos und zynisch äußert.
Die Erkenntnisse aus Cambridge könnten vielfach zu nützlichen Anwendungen führen: Bei der Arbeitsorganisation, im Arbeitsschutz, bei der Gestaltung der Schichtarbeit, bei Ersthilfemaßnahmen, in Arztpraxen und Krankenhäusern. Jede Firma, in der Nachtarbeit betrieben wird und in der Verletzungsgefahr besteht, könnte per Gesetz z.B. zu einem Tageslichtraum verpflichtet werden. Aber wer einmal als Kassenpatient mit einer schweren Verbrennung und extremen Schmerzen in der Notaufnahme eines Berliner Krankenhauses drei Stunden auf einen Arzt gewartet hat und dann den Bescheid bekam: Gehen Sie morgen zu Ihrem Hausarzt – der ist desillusioniert hinsichtlich der ach so tollen „Erstversorgung“. Und auch insgesamt hinsichtlich des schulmedizinischen Gesundheitssystems, das zunehmend aufs Geld, aber nicht auf den Menschen gerichtet ist und nicht einmal „Krankenhauskeime“ in den Griff bekommt.
826 Aufrufe – LDS: 16.03.2025
● https://www.tagesspiegel.de/wissen/
Krankenhauskeime finden sich mittlerweile überall – auch in unseren Seen und Flüssen.
● https://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/
Hunderttausende Menschen infizieren sich jährlich im Krankenhaus mit resistenten Keimen.
● https://www.zeit.de/
Patienten und Ärzte kämpfen verzweifelt gegen multiresistente Keime, die u.a. durch Antibiotikamissbrauch in Tierställen entstanden sind.
[1] ResearchGate: Circadian actin dynamics drive rhythmic fibroblast mobilization during wound healing. ▲
[2] n-tv.de: Günstige Gesundungszeiten – Brandwunden vom Tag heilen schneller. ▲
[3] academic.oup.com: Changes of Dietary Fat and Carbohydrate Content Alter Central and Peripheral Clock in Humans ▲
[4] n-tv.de: Günstige Gesundungszeiten – Brandwunden vom Tag heilen schneller. ▲
Beitragsbild: a88kay @pixabay, 18.08.2021.
Verwendung des PICR-Logos mit freundlicher Genehmigung durch PICR, 19.05.2024.
3575.1 Mirke, unter Verwendung von 4875280, missallsunday @pixabay 18.08.2021, auf Datengrundlage von Circadian actin dynamics drive rhythmic fibroblast mobilization during wound healing. ▲
3575.2 Mirke, unter Verwendung von 2873008, mohamed_hassan @pixabay, ferner: 6304393, ParallelVision @pixabay, 25.08.2021, auf Grundlage von Daten über TTFL (Transcription-Translation Feedback Loop, Nobelpreis-Komitee). ▲