Kati Zorn – Meisterin erotischer Porzellan-Satire

Wer Porzellanfigürchen sammelt, hat wahrscheinlich auch Gartenzwerge im Vorgarten. Was haben Häschen und Hündchen, Pausbacken-Putten und kindliche Pärchen, mit Kunst zu tun? Soviel wie Kuckucksuhr und Röhrender Hirsch oder die Briefmarkensammlung im Schrank – Porzellan zwischen Kitsch und Krempel.

Porzellanbildhauerin Kati Zorn belehrt eines Besseren. Aus langweiligen Rumsteherchen werden hier regelrechte Hingucker, die provozieren, amüsieren und faszinieren. Man entdeckt in tausenden Details immer wieder Neues und versucht, das Verbindende, Gemeinsame ihres Werkes zu begreifen, Zorn sozusagen auf den satirischen Punkt zu bringen. Doch das ist, wie bei allem Ungewöhnlichen, nicht ganz einfach.


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Fette Anette und Schlanke Anke: Beide Figuren gibt es unterschiedlich bemalt: mit Korsett oder in Leder, mit Négligé oder nackt, rothaarig oder blond uvm. – Heinrich Zille lässt von Ferne grüßen.

Stoff für Allegorien findet Kati Zorn seit fast 20 Jahren in der griechisch-römischen Mythologie, der europäischen Kultur-, Sagen- und Märchenwelt und auch ihrer eigenen Fantasie – wie z.B. bei der „Fetten Anette“ und „Schlanken Anke“. Mit Recht betreibt die Künstlerin ein Atelier „KATI ZORN porzellan Kunst“ und kein bloßes „Porzellangeschäft“, in 98744 Cursdorf, Treibe 19.

Faszination Drachenweib (2010)

Gefangengenommen hat mich zuerst das „Drachenweib“ (Bild links), zu sehen in der Porzellanausstellung der Heidecksburg in Rudolstadt, ein Gemeinschaftswerk von Kati Zorn und Barbara Flügel aus Schönwald [1]. Das Weib sitzt am Rand des hohen Sockels, sie trägt halterlose ultratransparente Seidenstrümpfe. Bekleidet ist sie mit einem knappen, transparenten, rosafarbenen Négligé mit schwarzen Spitzensäumen, aus dem Top schauen frech die kleinen roten Brustwarzen hervor. Die kurzen orangeroten Haare ragen sichelförmig ins Gesicht. Das spitze Näschen ist keck in die Luft gereckt, die linke Hand schwebt abgewinkelt waagerecht in der Luft, als erwarte das Weib eine Aufforderung zum Tanz oder als wolle Sie etwas abwägen, innerlich austarieren. Die rechte Hand scheint den Sockel zu berühren, doch sie schwebt etwas über ihm, als habe sich das Weib gerade zum Aufstehen entschlossen. Die blau schattierten Augen sind zu, sie scheint einem Traum nachzuspüren. Auf ihrem Kopf: ein goldenes Prinzessinnen-Krönchen, um den Hals ein Goldkettchen mit einem rombenförmig eingefassten roten Edelstein als Anhänger.

Rechts hinter ihr hockt der blaugrüne Drache, seine Färbung korrespondiert mit ihrem Lidschatten. Es scheint ein noch junger Drache zu sein, in zweifacher Menschengröße. Typisch geschuppt und geformt, mit Potential zum Feuerspeien. Der Drachenschwanz reicht hinunter bis zur Basis des Sockels, auch er sichelförmig geschwungen. Doch das Tier wirkt nicht sonderlich aggressiv, der Kopf ist etwas eingezogen und geneigt, als wolle es kuscheln und die tastende Haltung der rechten Vorderpfote ähnelt der ihres linken Arms; vielleicht hat auch der Drache bis eben geschlafen und noch den schläfrigen Wunsch nach Nähe. Auch wenn Flügel und einige Schuppen und Linien, die Nüstern, golden sind, dazu die Schwanzspitze und die Kopfhörner, ist er trotzdem kein „goldiges“ Tier; der Schrecken des Drachensymbols wird durch seine Haltung nicht aufgelöst. Gold steht hier nicht für eine niedliche Zähmung, eher für das „Selbst“ und die persönliche Entwicklung: für Anziehungskraft, Ausweitung, Umwandlung, Ziel, Stärke [2].

Als Traumsymbol steht der Drache für den inneren Kampf, für starke Ängste oder Konflikte. Kulturell wird er als Natur-Symbol verstanden; im westlichen Kulturkreis wird er traditionell von einem Helden bezwungen, der sich anschließend den Drachenschatz aneignet, wie in der Nibelungensage. In Asien (insb. China) gilt der Drache zwar auch als furchteinflößend, jedoch vorrangig als Glückssymbol, als fruchtbare Macht. Im Drachensymbol spiegelt sich das kulturell unterschiedlich geprägte Verhältnis des Menschen zu seiner äußeren wie inneren Natur [3].

Das Drachenweib kämpft nicht mit dem Drachen, sie koexistiert, von Angst ist nichts zu spüren. Sie scheint sich mit ihm abgefunden zu haben. „Auf der spirituellen Ebene steht der Drache für die durch das Patriarchat unterworfene weibliche Seite des Menschen. Ihr darf nicht mit Kampf, sondern muss mit Liebe begegnet werden“ [4]. Da sie ihm den Rücken zukehrt, wäre „Liebe“ ein zu starker Begriff. Ihre Haltung verkörpert eher den Wunsch, durch Innenschau mit sich im Reinen zu bleiben. Vielleicht wäre sie bereit, sich führen zu lassen – doch der Drache sucht nur Nähe und will nicht beherrschen. Die Herrscherin ist sie, denn sie hat das Krönchen, ein Kampf scheint obsolet.

Keine adäquaten Texte

Ausführliche Beschreibungen und Interpretationsversuche wie oben habe ich zum umfangreichen Werk von Kati Zorn wenig gefunden. Oft bleibt es bei Andeutungen, weil man sich in unserer angeblich so tabulosen Zeit schriftlich nicht so recht ans Erotische wagt und lieber einfach Sprach-Stempel wie „eindeutig zweideutig“ oder „frivol“ verwendet.

Die Künstlerin berichtet in einem Video auf unprätentiöse Weise ihren Werdegang, als Interpretation zu „Weisheit & Jugend“ (der alte Mann und das Mädchen, links) sagt sie nur wenig Analytisches. Sie erwähnt die ihr eigene gestalterische „Sprache“ – aber worin besteht diese? Tiefes Verständnis des Herstellungsprozesses, zeichnerisches Talent in der Vorbereitung, Liebe zum Porzellan – das ist sicher alles wichtig fürs Kunsthandwerkliche.

Auch der Märchen-Text „Das Halsband der Königin“ (Porzellangeschichten von Kati Zorn und Matthias Biskupek) [5] wirkt seltsam betulich und verzichtet auf jeglichen Sprengstoff, als habe Biskupek sich nicht entscheiden können, ob er für Kinder oder für Erwachsene schreibt; dagegen ist Kati Zorns Porzellankunst überwiegend FSK 16 und nichts für Kinder.


Rechts: Den Elfenkönig Oberon als Pimmel mit Eiern in Form einer Schnecke darzustellen, ist ungewöhnlich. Die Elfe tut sich was Gutes, die Schnecke schaut erstaunt.

Dieser Text lässt auch vollkommen jene feine Süffisanz und närrische Leichtigkeit, die erotische Direktheit vermissen (wie „Der Teufel liebt das Detail“, den Elfen-Ritt auf dem Oberon und Leda mit dem Schwan), die lustig übertriebene Geste, die wir im Porzellan immer wieder entdecken können. Als würde ein fröhlicher, dicker Bär eine Attitude oder Effacé derrière [7] tanzen. Wir treffen auf weibliche Narren, die selbstzufrieden lächeln. Diese Narretei ist aber nicht eine spießbürgerliche des Kölner Karnevals, sondern hat eher die Leichtigkeit der italienischen Commedia dell’arte [8], mit ihren typisierten Rollen. Manche Gesten scheinen pantomimenhaft, Kostüme wirken harlekinesk.


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Porzellan kann mehr als Handwerk sein

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Erstaunlich ist, dass die Kunstkritik offenbar Porzellan nicht auf dem Schirm hat. Das sei kein Material für Künstler, lautet das Vorurteil, das ist bloß Kunsthandwerk. Auguste Rodins „Denker“ von 1880 ist tausendfach besprochen, gewürdigt und kopiert worden. Der Denker („Mann“) von Kati Zorn – ich finde ihn ohne Harlekin-Kostüm (links) am besten – ist dagegen noch gar nicht recht entdeckt worden, obwohl die Porzellanfigur den Vergleich zu Rodins Skulptur nicht scheuen müsste. Anders als bei Rodin ist der Ausdruck hier nicht intensives „Brüten“, sondern kreatives Innehalten, Gedanken schweifen lassen, Entspannung mit Innenschau.

Die in Jena 1962 geborene Kati Zorn ist an der thüringischen Porzellanstraße ein Begriff, seit sie sich 2000 – zunächst offenbar nicht ganz freiwillig und zielstrebig („aus privaten Gründen“) – selbstständig machte [9]. Bei ebay finden sich viele ihrer Stücke, via Google zugänglicher Katalog und eine Preisliste bilden ihr Werk ab [10], allerdings scheint beides nicht ganz aktuell und vollständig und es fehlen entweder Beschreibungstexte, oder sogar Titel und Fotos. Auch im Atelier findet sich nur ein Ausschnitt ihrer Produktion, die Webseite zeigt ebenfalls nur Ausgewähltes ohne zu erklären warum dieses und nicht jenes. So ist man bei der Suche etwas auf Kommissar Zufall bzw. detektivisches Herausfinden angewiesen. Die Zornsche Kunst bleibt trotz Ausstellungen in London, Berlin und München ein Geheimtipp.

Weg vom Konkreten, hin zur Satire

Im Atelier entdecke ich Heiligenfiguren, die mit ihrem süßlich-lieblichen Gesichtsaudruck, Demutshaltung und Ganzkörper-Bemalung so gar nicht in die Zornsche Welt passen, viel eher in die Biedermeier-Ecke von Kitsch und Krempel. Auch im Katalog sind „Maria und Kind“ sowie „Josef“ aufgeführt (V20988/V20989). Diese Motive stammen aus DDR-Zeiten, erklärt die Künstlerin. Religiöses war da per se schon Provokation, allein die Wahl von Maria und Josef ein kleiner Akt des Widerstands, sozusagen Satire in der inneren Emigration. Trotzdem überraschend, dass dies noch immer im Atelier steht. Die „Biedermeier-Parodie“ (V20984) fehlt dagegen (auch im Katalog kein Foto, schade).

In einer älteren Figurenreihe die – leider – „ausläuft“, wie die Künstlerin uns sagte, gibt es noch politische Anspielungen und Loriot-Anleihen, z.B. beim Mops-Monument mit dem Zitat: „Das Leben ohne Mops ist möglich, aber sinnlos“. Auf meinem Schreibtisch steht seit dem Besuch in Cursdorf die „Zeitungsente“ als Mahnung, eine niedliche, gelbe Gummiente aus Porzellan, die auf Gala, Geo, Echo der Frau, dem Goldenen Blatt und dem Spiegel sitzt.

Schdänichä Kochbuch

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Zeitungsente und Mops-Monument. Zur Aufschrift „Schdänichä Kochbuch“ erklärte die Künstlerin, bis vor einiger Zeit hätten in einem Nachbarort von Cursdorf noch Hunde auf dem Speisezettel gestanden: Die Welt ist bunt.

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Fußnoten

[1] saalfeld.otz.de: „Drachenweib“ zum Porzellanjubiläum

[2] waldfee.net: Farbensymbole

[3] wikipedia.org: Drachen

[4] traumdeuter.co: Drachensymbolik

[5] Das Halsband der Königin, Cursdorf und Rudolstadt 2010, edition burgart. 

[6] einfachtierisch.de: Tierschutz: Sodomie in Deutschland erst jetzt wieder verboten

[7] wikipedia.org: Ballett-Glossar


[8]  Wikipedia: Commedia dell’arte

[9] youtube.com: Kati Zorn: Werdegang einer Porzellankünstlerin (1:54). 

[10] katizornporzellan.de: Preisliste und Katalog

Alle Fotos von Mirke entstanden mit ausdrücklicher Genehmigung von Kati Zorn in Cursdorf bzw. auf der Heidecksburg Rudolstadt, 2018.

Beitragsbild: Mirke, 2018.

5630.1   Mirke (für 2 Fotos), 2018  

5630.2   Mirke, 2018.  

5630.3   Mirke, 2018.  

5630.4   Mirke, 2018.  

5630.5   Mirke, 2018.  

5630.6   Mirke (für 2 Fotos), 2018.  

5630.7   Mirke, 2018.  

5630.8   Karora, Public Domain, via Wikimedia Commons, bearb. v. Mirke, 04.09.2021.  

5630.9   Mirke, 2018.  

5630.10   Fanny Schertzer, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons, 04.09.2021.  

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