Katastrophe „Deutsche Bahn“ – Verspätung für Verkehrswende


Berlin/Lathen, 16. August 2023. Ãœber die Bahn ist schon viel gemeckert, geklagt und folgenlos diskutiert worden. Geändert hat sich nichts – zumindest nicht zum Guten. Negative Erlebnisse kann man täglich haben, kaum eine Fahrt, bei der alles funktioniert (➥ Kein schöner Zug: DB-Komfort bleibt auf der Strecke). Und die Zukunftsaussichten sind schlecht. Man wird des Daueraufregens müde. Man ist schon mit einem Minimaltransport zufrieden. Man will nur noch ankommen und vergessen. Während Verkehrsminister und Bahnvorstand mit klimatisierten Luxuskarossen umherkutschiert werden.

Da fällt in Berlin-Südkreuz der Zubringer-Zug aus. Oder er hat 80 Minuten (!) Verspätung. Ohne die Navigator App (und geladenem Akku) wäre man verloren. Irgendein Regionalzug bringt einen (trotz Zugbindung) nach Berlin Hbf. Gut, wenn man reichlich früher an der Abfahrstelle ist. Am Hauptbahnhof ist totales Chaos, totaler Lärm, totale Ãœberfüllung am Bahnsteig. Die Bahnsteige sind eine Fehlkonstruktion, oft nur knapp 2 Meter breit, in der Mitte ein rechteckiges „Guckloch“ nach unten. Vermutlich wollte man Beton sparen und Architekt Meinhard von Gerkan verkaufte es als „Transparenz“: „Von jedem Punkt aus auf den verschiedenen Etagen soll man alle anderen Räume sehen können. Das erzeugt ein Gefühl der Größe“ [1].

Für die kleinen Reisenden fehlt der Platz. Zu den Bahnkunden, die hier schon eine Stunde oder länger warten, gesellen sich diejenigen, deren Zug eigentlich jetzt fahren sollte. Auch mein IC nach Amsterdam hat 40 Minuten Verspätung. Dazu keine Durchsage, keine Anzeige. Nur die App informiert. Durchgesagt wird aber regelmäßig, man solle sich doch auf dem Bahnsteig verteilen. Wie idiotisch ist das denn: schließlich muss man in den passenden Abschnitt A-F, um am richtigen Waggon zu stehen, wenn der Zug irgendwann kommt. Sonst gäbe es noch viel mehr Gerenne und Geschiebe.

Als er kommt, stellt sich heraus: die Klimaanlage in Wagen 26 ist ausgefallen – Temperaturen wie in der Sauna. Also irgendwo anders einen Sitz suchen. Aber alles ist reserviert. Nach einer Stunde passiert, was passieren musste: der Platz muss geräumt werden. Inzwischen ist Wagen 26 gesperrt, Tür abgeschlossen, aus Sicherheitsgründen. Rot-weißes Band vor den Sitzen, Ansage in Dauerschleife: Aufenthaltsverbot wegen Ausfalls der Klimaanlage. Wohin jetzt? Mit Verboten ist man fix, für die Fahrgäste tut man nix. Selbst die Toilette ist defekt. Eine sehr unfreundliche Bahnangestellte schreit, man könne sich ja in irgendeine Ecke stellen. Ein Bahnangestellter droht, man könne auf die Weiterfahrt auch ganz verzichten. Die Klimaanlage in Wagen 27 kommt nun ebenfalls an ihre Grenzen, der Schweiß rinnt. Stundenlanges Stehen im Gang, ständiges Ausweichen und Platzmachen für die, die durchwollen. Lautsprecherdurchsage: „Wir wünschen eine angenehme Reise.“ Hohles Wortgeklingel, das trotz Abstumpfung doch noch Adrenalin freimacht.

Falsche Anzeigen am Bahnsteig, willkürlich geänderte Zugreihenfolgen, Verspätungen bis 90 Minuten und mehr, kaputte Bremsen & Signale, Zugausfälle wegen Krankheit von Mitarbeitern, Fehlinformationen in der Navigator App – alles normal.

Zu befürchten ist, dass die Katastrophe der Bahn ab dem kommenden Jahr aufgrund der Baustellen, Sperrungen, Umleitungen und des Schienenersatzverkehrs noch weit größer wird. Der Bahnvorstand rühmt sich, das größte und umfassendste Infrastrukturprogramm seit 1994 zu realisieren, man spricht hochtrabend von „Zukunftsbahnhöfen“ und „Hochleistungskorridoren“ und einer Strategie „Starke Schiene“. Dazu werden bis 2030 schrittweise 40 Streckenabschnitte (insgesamt rund 4000 km Schiene) monatelang komplett gesperrt. Man muss zwischen den Zeilen lesen: „Für die Dauer der Generalsanierung erarbeitet die DB gemeinsam mit den betroffenen Eisenbahnverkehrsunternehmen und den im Nahverkehr zuständigen Aufgabenträgern ein leistungsstarkes Verkehrskonzept. Dazu gehört beispielsweise die Ertüchtigung von Umleitungstrecken“ [2]. Es ist peinlich genug, dass die Bahn über Jahrzehnte so heruntergewirtschaftet wurde, dass nun offenbar nur noch eine Generalsanierung hilft. Kleinere, ständige Sanierungen im laufenden Betrieb – so wie früher auch – wären für die Bahnkunden deutlich schmerzfreier gewesen. Aber der Servicegedanke ist kein Argument mehr. Auf diese Weise wird man viele gebeutelte Kunden motivieren, auf das Auto umzusteigen (und die geplante Verkehrswende zur Karikatur werden lassen). Verständlich, denn: Es ist schließlich angenehmer, mit funktionierender Klimaanlage im Stau zu sitzen, als stundenlang stehend über Umleitungsstrecken zu brüten. Zur „Belohnung“ für ihre Leidensbereitschaft werden den Kunden heute schon höhere Preise angekündigt: Konkret geht es um 23,5 Prozent höhere Trassenentgelte im Nahverkehr, zehn Prozent im Fernverkehr und fast 15 Prozent für Güterzüge [3]. Das wird sich wohl auf die Tickets auswirken und weitere Gütertransporte von der Schiene auf die Straße bringen.

Unglaublich, dass sich ein wohlhabendes Land eine Infrastruktur „leistet“, die schlimmer ist als in einem Entwicklungsland in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts. Dabei hätte es viele Chancen gegeben, die Verkehrssituation zu lösen: z.B. durch einen Transrapid zwischen Berlin und Hamburg. Dann hätte auch eine Vollsperrung dieser Strecke keine katastrophalen Auswirkungen gehabt. Der Transrapid aber wurde teuer gerechnet und die geplanten Strecken wurden nicht gebaut. Die ehemalige Teststrecke bei Lathen modert vor sich hin. Berlin – Hamburg hätte 4,55 Mrd Euro gekostet [4]. Geradezu ein Schnäppchen, verglichen mit dem Bahnprojekt Stuttgart 21 (bisher: 9,15 Mrd. Euro). [5]


64 Aufrufe – LDS: 01.09.2024


Fußnoten

[1] bild.de: Bahnsteige im Hauptbahnhof sind gefährlich schmal! Kommentar Gunnar Schupelius: „So ist es, wenn sich Architekten in ihre Pläne verlieben, ohne an die praktischen Auswirkungen zu denken, denen die Menschen in ihren Gebäuden ausgesetzt sind.“ 

[2] deutschebahn.com: Bund und Deutsche Bahn bringen größtes Infrastrukturprogramm für die Schiene auf den Weg

[3] ndr.de: Schienenmaut: Kritiker befürchten höhere Bahnticketpreise

[4] ndr.de: Vor 30 Jahren: Transrapid Hamburg-Berlin geplant

[5] zeit.de: Kosten für Stuttgart 21 steigen auf über neun Milliarden Euro 

Beitragsbild: Mirke, 2024.

kdb.1   Deutsche Bahn AG / Benjamin Kedziora, 26.08.2024. Mit freundlicher Genehmigung der Pressestelle der Deutschen Bahn, 26.8.2024.