Ukraine: 8 Stufen zum Frieden


Wir brauchen eine UNO-Initiative zur Ukraine! Der UN-Charta muss auch gegenüber Russland Geltung verschafft werden!

Bei der Vorbereitung des Waffenstillstands und zur Kompromissfindung sollte der UN-Generalsekretär eine tragende Rolle spielen. Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang an die Agenda für den Frieden (1992) des damaligen Generalsekretärs Boutros Boutros-Ghali, welche alle aufgeführten Maßnahmen durch die UNO legitimiert hätte [1].

Denkbar wäre auch eine gemeinsame Initiative von UNO-Mitgliedsstaaten, die nicht oder zumindest nicht direkt am Konflikt beteiligt sind, aber dennoch ein Interesse an dessen Beilegung haben könnten (z.B. die BRICS-Staaten Brasilien, Indien, China, Südafrika). Zu dieser Initiative könnte und sollte der Generalsekretär beitragen.

Der erfahrene US-Diplomat Alexander Vershbow hatte 1998 eine vergleichbare Friedenslösung für den Kosovo-Konflikt vorgeschlagen. Über ein Mandat des Sicherheitsrats sollten Nato und Russland gemeinsam ein UN-Protektorat errichten. Die USA lehnten dies ab und die Nato führte einen völkerrechtswidrigen Krieg gegen Serbien [2]. Auch der katastrophale Syrienkrieg hätte durch den Einsatz von UNO-Truppen entschlossen beendet werden können, denn die Vetomächte waren sich im Sicherheitsrat 2012 einig, dass „das Blutvergießen“ beendet werden müsse [3].

Sofern es Russland wirklich „nur“ um die Ost-Ukraine ginge, müsste es diesen Plan als Grundlage akzeptieren. Denn es besteht ja zumindest theoretisch die Chance auf „Geländegewinne“, sofern eben die betreffenden Regionen sich in einer freien Volksabstimmung für Russland aussprächen. Wenn sich hierzu eine Annäherung zwischen den Konfliktparteien abzeichnete, wäre dies die Grundlage für den unten vorgestellten Plan, der ein klassisches, aber verstärktes peace-keeping durch die Vereinten Nationen vorsieht.

Der Stufenplan sähe vor, die Punkte im Abstand von 4-12 Wochen schrittweise zu erfüllen. Sofern Zweifel an der Erfüllung eines Punktes bestehen, Rückbesinnung auf den vorherigen Punkt und neuer Anlauf (Termin).

Die UNO-Truppen müssten sich wie in ähnlichen Konstellationen der Vergangenheit aus Mitgliedsstaaten rekrutieren, die nicht direkt am Konflikt beteiligt sind [4].

➥ UNO – Teil I: Lehren aus dem Ukraine-Krieg


1.

Waffenstillstand. Keine einseitigen Änderungen des Frontverlaufs.

Eine ausreichende Zahl an UN-Beobachtern auf beiden Seiten stellte sicher, dass es zu keinem Verstoß gegen den Waffenstillstand käme. Sollten UN-Beobachter einen Verstoß feststellen, müsste die angreifende Seite „Schadenersatz“ im Sinne einer Vertragsstrafe leisten. Mit Hilfe dieser UN-Beobachter könnte es gelingen, ein weiteres Debakel wie nach dem Minsker Abkommen (2015) zu verhindern.


2.

Beiderseitiger Truppenabzug in einem temporären Korridor von 100 Kilometern vom Frontverlauf zum Zeitpunkt des Waffenstillstands.

Durch diese Vereinbarung würde sichergestellt, dass es nicht zu „Aktionen in letzter Minute“ kommt, um sich noch einen territorialen Vorsprung zu sichern.


3.
Zur Friedenssicherung Stationierung von bewaffneten UNO-Truppen im Korridor. Beide Parteien haben dies aktiv zu unterstützen.


4.
Beiderseitige vorübergehende Anerkennung des Status Quo, d.h. der durch Russland besetzten Gebiete in der Ukraine (Luhansk, Donezk, Saporischja, Cherson und Krim) als territorial „umstritten“ bis zu einer freien Volksabstimmung.


5.
Gleichzeitiger Abzug aller russischen und ukrainischen Truppen aus den besetzten Gebieten (Zug um Zug[5], einschließlich der Krim.


6.
Freie Volksabstimmung über die künftige nationale Zugehörigkeit in allen von Russland beanspruchten Gebieten [5] unter Beteiligung internationaler UN-Wahlbeobachter.

Zur Wahl wären drei Optionen zu stellen: Ukraine, Russland oder neutral/­autonom. Wenn es bei der Volksabstimmung zu Manipu­lationen und Provo­kationen kommt, besetzen UNO-Truppen die Gebiete und die Volks­abstimmung würde unter Aufsicht inter­nationaler Beobachter wiederholt, bis die Freiheit der Volks­abstimmung – nach dem Urteil der UN-Beobachter – vollständig garantiert war.


7.
Nationale Zuordnung oder Autonomie der Gebiete entsprechend den Ergebnissen der Freien Volksabstimmung und dauerhafte vollständige Entmilitarisierung der Gebiete (alle militärischen Gattungen inklusive Marine) einschließlich der Krim. Der russische Marinestützpunkt Sewastopol könnte ggf. bis 2042 Bestand haben, wie es das 2010 verlängerte Abkommen zwischen der Ukraine und Russland vorsah.

Im Zweifel Sicherstellung dieses Status durch bewaffnete UNO-Truppen. Die Zuordnung diente lediglich dem Aufbau ziviler und administrativer Strukturen und der Reparatur der Infrastruktur und dürfte keine militärischen Ziele verfolgen.

Der Korridor (2) würde aufgehoben.


8.
Russland erkennt in einer eindeutigen Garantieerklärung die volle staatliche Souveränität der Ukraine an. Die UNO-Truppen überwachen den entmilitarisierten Status der Oblasten Luhansk, Donezk, Saporischja, Cherson und Krim für zehn Jahre und ziehen dann ab.

Bei Verstoß gegen den ent­militari­sierten Status wären die UNO-Truppen zur Ent­militari­sierung berechtigt. Dies hätten beide Parteien vorab anzuerkennen. Auf Reparations­leistungen durch Russland verzichtete die Ukraine (das ist ein großes Entgegen­kommen). Die Ukraine könnte NATO und EU beitreten oder ein Assoziierungs­abkommen mit Russland schließen, dazu würde innerhalb eines Jahres jeweils eine freie Volks­abstimmung durchgeführt. Europa und Russland, die UN, würden beim Wieder­aufbau der Ukraine helfen. Sanktionen gegen Russland könnten abschließend entfallen. Dies würde auch dort einen wirtschaft­lichen Aufschwung begünstigen.

Sollten sich einzelne Oblasten als „autonom“ erklären, blieben UNO-Truppen dort stationiert, bis sich Russland und die Ukraine auf ein Abkommen geeinigt hätten, in dem der Autonomie-Status dieser Gebiete garantiert würde.

Die Aufarbeitung der Kriegsverbrechen im Ukraine-Krieg durch ein IGH-Tribunal [6] bzw. in einer Reihe von Verfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) bliebe davon unberührt.

290 Aufrufe – LDS: 07.12.2024


Literatur & Medien

(AZ) Andreas Zumach: Globales Chaos Machtlose UNO – Ist die Weltorganisation überflüssig geworden? ISBN: 978-3-85869-702-8.

(CH) Die Charta der Vereinten Nationen und das Statut des Internationalen Gerichtshofs. ISBN: 3-15-009801-7.

(KDW) Klaus Dieter Wolf: Die UNO. Geschichte, Aufgaben, Perspektiven.
ISBN: 978 3 406 50878 3.
Dieses Büchlein ist sehr zu empfehlen – auch wenn es leider nicht ganz aktuell ist.

Fußnoten

[1] Vgl. (KDW), S. 46f. 

[2] (AZ), S. 120. Damals wurde nicht nur eine historische Chance vertan – die Vereinten Nationen verloren entscheidend an Glaubwürdigkeit. Putin rechtfertigt seinen Angriff auf die Ukraine u.a. mit dem Serbien-Krieg der Nato, man erinnere sich an das Gespräch mit Scholz am 15. Februar 2022, kurz vor dem Krieg – Putin und Scholz setzen auf Dialog

[3] (AZ), S. 31 und 38. 

[4] Beispiele wären: Indien, Argentinien, Mittelamerika, Indonesien usw. 

[5] Luhansk, Donezk, Saporischja, Cherson, Krim. 

[6] Ähnliche Tribunale waren das Internationale Militärtribunal von Nürnberg und das Internationale Militärtribunal für den Fernen Osten in Tokio, weitere wurden durch den Sicherheitsrat 1993 zu Jugoslawien und 1994 zu Ruanda als „Nebenorgane“ ins Leben gerufen – (KDW), S. 21. Das ukrainische Center for Civil Liberties (CCL, Центр Громадянських Свобод) hat seit dem Frühjahr 2022 russische Kriegsverbrechen gegen die ukrainische Zivilbevölkerung dokumentiert. Unter anderem sammelte das CCL Zeugenaussagen in den ukrainischen Städten Butscha und Irpin, wo russische Truppen gezielt Massaker unter Zivilisten begangen haben. Das CCL erhielt 2022 den Friedensnobelpreis. 

Beitragsbild: Flagge der Vereinten Nationen, Public Domain, 2024.

Verwendung des PICR-Logos mit freundlicher Genehmigung durch PICR, 19.05.2024.