Warum die V2 aus militärischer Sicht Unsinn war


Die „Wunderwaffe“ V2 war – wie auch andere Waffen-Projekte aus der Endphase des sogenannten 3. Reichs [1] – technisch unausgereift, militärisch fragwürdig und ineffizient. Selbst wenn es gelungen wäre, sie allesamt zu technischer Serienreife zu entwickeln, hätten letztendlich die Treibstoffe gefehlt. „Der militärische Wert der Fernwaffe war gleich null“ [2].

Der Mythos Peenemünde behauptet, der 2. Weltkrieg hätte von Deutschland gewonnen werden können, wenn Hitler den Wert der Raketenwaffe frühzeitiger erkannt und ihrer Entwicklung nur rechtzeitig die „allerallerhöchste“ Dringlichkeitsstufe erteilt hätte – die höchste hatte sie ja ununterbrochen. Doch mit monatlich rund 1.000 Raketen allein, die nur ungenau gezielt werden konnten (= ca. 750 t Sprengstoff), waren die Alliierten niemals aufzuhalten. Bemerkenswert an dieser Mär ist das mitschwingende Bedauern: die Raketenforscher trauerten offensichtlich vor wie nach 1945, dass es ihnen nicht gelungen war, das Hitler-Regime zu retten [3].

Ihre Bedeutung gewann die Raketentechnik erst in den 50er und 60er Jahren in Kombination mit Atomsprengköpfen im Kalten Krieg [4]. NS-Deutschland war in diesem Bereich technisch möglicherweise 5-10 Jahre voraus, dafür lag es aber in anderen Bereichen wie der Atomtechnologie, Radartechnik, Marine um Jahre zurück. Die V2 wurde und wird auch heute oft noch weit überschätzt. Deutschland war den USA gegen Ende des Krieges bei Forschung und Entwicklung auch im wichtigen Elektronikbereich weit unterlegen [5].

236 Aufrufe – LDS: 16.04.2025


Fußnoten

[1] Z.B. die weiterhin in Peenemünde entwickelte Flugabwehrrakete Wasserfall, Flak-Rakete „Schmetterling“, Düsenjäger ME 262, Düsenbomber AR-234 usw. Eine Ausnahme bildet vielleicht die Erfindung der „Panzerfaust“, für die es allerdings auch auf der Alliiertenseite Entsprechungen gab. 

[2] (RE), S. 143. 

[3] (JW), S. 47. 

[4] Neufeld nennt dies treffend das „Paradoxon der Peenemünder Raketen“: Eine kurzfristig gesehen völlige Wirkungslosigkeit steht einer grundlegenden langfristigen Bedeutung gegenüber – (MN), S. 328. 

[5] (MN), S. 283 u. 285: Daher waren die Westalliierten auch über das „eigenartige“ (mechanische) Steuerungssystem der A4-Rakete zunächst entsprechend verwirrt. Insgesamt seien in Deutschland bis Mitte 1943 reichlich vorhandene Innovationen nicht sonderlich beachtet worden, man setzte auf „Upgrades“ vorhandener Systeme wie der Me 109. Im Sinne einer „Torschlusspanik“ wurde dann ab 1944 krampfhaft versucht, neue Waffensysteme zum Einsatz zu bringen – obwohl die Ressourcen immer knapper wurden. So hätte bei richtigem „Timing“ die düsengetriebene Me 262 schon 1939/40 fertig werden können. Doch der Entwicklungsvorsprung wurde nicht genutzt. Hinzu kam die spätere Fehlentscheidung Hitlers, den Jäger Me 262 zum „Blitzbomber“ umbauen zu lassen – (UB), S. 152ff. 

[6] (MN), S. 326. Über Stand und Ziele des deutschen Atomprogramms waren die Alliierten nicht gut informiert. Dies löste Ängste vor einem deutschen Atomkrieg aus, der sie zu Gegenmaßnahmen veranlasste. Der Bau der V1-Rampen an der Atlantikküste befeuerte die Furcht vor atomar bestückten Raketen oder Sprengköpfe mit Giftgas – (UB), S. 116. 

[7] (MN), S. 327. 

[8] (MN), S. 327: Nach einer Schätzung des US Strategic Bombing Survey (USSBS). Allerdings war die Produktion von Jagdflugzeugen allein sinnlos, da immer weniger Flugbenzin zur Verfügung stand. Die Produktion ging von 175.000 Tonnen im April 1944 auf 54.000 Tonnen im Juni 1944 zurück und sank weiter (vgl. auch (JM), S. 29). 

[9] Nach (JM), S. 52: Der Präsident des Planungsamts und Chef des Rohstoffamts Hans Kehrl, hatte dies und die „überdimensionierte Fertigungsorganisation“ im Mittelwerk nach seinen Angaben Rüstungsminister Speer im Januar 1944 vorgerechnet, allerdings ohne etwas zu bewirken. 

[10] (MN), S. 269. 

[11] (MN), S. 326. 

[12] (JM), S. 92. 

[13] (JW), S. 69. 

[14] (MN), S. 327. 

[15] (JM), S. 49. Das lag wesentlich an der Lenkung über die Strahlruder. Wenn nach Brennschluss kein Strahl mehr da war, war auch die Steuerung eingeschränkt. 

[16] (MN), S. 235. 

[17] (MN), S. 197 u. 229. Die Mischung mit Methanol führte im Sommer 1943 zum Tode von vier KZ-Häftlingen in Peenemünde, die den Treibstoff mit Kartoffelschnaps verwechselt hatten bzw. denen der Unterschied zwischen Äthanol und Methanol nicht klar war. 

[18] (JM), S. 49. 

[19] Und das, wo die Rakete aus mehr als 20.000 Einzelteilen bestand, die von 400 Lieferanten bezogen wurden – (JM), S. 5. (FK), S. 70: „keine Stückliste vorhanden“. Zu den Lieferanten gehörten u.a. Linke-Hoffmann (Triebwerksblock), Daimler-Benz (Tragwerk), Heinkel (Armaturen, Druckanlagen) – (JM), S. 71. 

[20] (MN), S. 210f; (HJMG), S. 28. Überraschenderweise spricht Bornemann „von der [im Sommer 1943] in ihrer Entwicklung ausgereiften deutschen Fernrakete“ – (MB), S. 9 – ein Fehlurteil. Auf S. 105 dagegen: „Die bei Prüfstandversuchen und bei Versuchsschießen entdeckten Unzulänglichkeiten, aber auch aus der Serienfertigung sich ergebende Vereinfachungen und Verbesserungen bei der Konstruktion von Geräteteilen, brachten ständig neue Änderungen in die Gerätemontage“. S. 110: „[…] Versagerquote, die auf noch erhebliche Mängel am Gerät schließen ließ“. Den Startlisten ist zu entnehmen, dass nur etwa jede zweite Rakete richtig funktionierte – das war selbst nach Kriegsende in den USA nicht besser – wikipedia.org: Liste der Versuchsstarts der A4-Rakete. Selbst Wernher von Braun gab nach Kriegsende zu, dass der V2 „noch einige Mängel anhaften“ – (BR), S. 279. 

[21] (JW), S. 48. Der Triebwerksingenieur Dr. Thiel hatte die Rakete noch im August 1943 ironisch als „vollautomatisch fliegendes Laboratorium“ bezeichnet (zitiert nach (JM), S. 10 und (WD), S. 169, (MN), S. 193). 

[22] us.archive.org: „A4-Fibel“, Gebrauchsanleitung für die Truppe. Die mit Merkreimen und sexy Bildchen versehene „Fibel“ sollte wohl die Stimmung heben. 

[23] Wie z.B. (JM) versucht, entsprechende Dokumente zitiert bei (MB), S. 56). 

[24] Für die ersten 1.000 Stück vereinbarte die Mittelwerk GmbH mit dem Heereswaffenamt einen Preis von 100.000 RM, die zweiten 1.000 sollten jeweils 90.000 kosten. Stufenweise sollte der Stückpreis je 1.000 um 10.000 RM zurückgehen, bis man ab der 5.001. Rakete bei 50.000 RM je A4 angekommen wäre – (JM), S. 45). 

[25] (JM), z.B. S. 86f. 

[26] (MN), S. 326. 

[27] Ebda. 

[28] (MB), S. 120. 

[28.1] (BR), S. 172. 

[29] (BR), S. 229. 

[30] (MN), S. 273. 

[31] (MN), S. 317. 

[32] So führt z.B. Mayer aus, dass sich das Oberkommando ausrechnen konnte, dass es aufgrund der militärischen Lage und der Kräfteverhältnisse ab 1943 ausgeschlossen war, allein durch das Verschießen von monatlich 500 oder 1.000 Raketen über Entfernungen von 250 Kilometern noch einen „Endsieg“ zu erzielen – (JM), S. 7. 

[33] (MB), S. 32: Entgegen der heute gängigen Deutung vertrat z.B. Bornemann die Ansicht, die Rakete hätte sehr wohl England zum Kriegsaustritt bewegen können – ein Fehlurteil. 

[34] ➥ Raketen aus Peenemünde III: Serienproduktion des Todes, Abschnitt „Sabotage und Spionage“. 

Beitragsbild: Fastfission, Public Domain, via Wikimedia Commons, 25.05.2023.

Legende:

1. Gefechtskopf/Sprengstoff
2. Gyroskopisches System
3. Kreisel-Steuerung und ggf. Funksteuerung
4. Ethanol-Tank
5. Rumpf
6. Flüssigsauerstoff-Tank
7. Wasserstoffperoxid-Tank
8. Stickstoff-Tank
9. Wasserstoffperoxid-Reaktionskammer
10. Turbopumpe
11. Ethanol/Flüssigsauerstoff-Injektoren.
12. Antriebseinheit
13. Brennkammer / „Ofen“
14. Leitwerk (x4)
15. Düse
16. Strahlruder
17. Steuerruder