Ein Blumenjahr in der Mingvase

Im Herzoglichen Museum zu Gotha besuchen wir eine Sonderausstellung zu Blumen- und Früchtestillleben, hauptsächlich des niederländischen Malers Balthasar van der Ast. Unter den 40 Ölbildern vom Anfang des 17. Jahrhunderts sind auch einige von Ambrosius Bosschaert und Roelant Savery. Gezeigt wird u.a. das erst im Januar 2016 in einem Bonner Privathaushalt wiedergefundene Gemälde „Tulpe Sommerschön“ von 1625 (Bild links, Schätzwert 860.000 €) – es ist das einzige Bild, bei dem sich der Maler im wesentlichen auf eine einzelne Tulpe beschränkt hat. Das Beitragsbild oben zeigt ein „Stillleben mit Früchten und Blumen“ von 1620-21. Durch die Konzentration auf einen überschaubaren kulturhistorischen Ausschnitt ist die zuvor schon in Aachen gezeigte Ausstellung ein gut machbares Highlight.

Mit den üppigen Auftragsmalereien entschädigten sich wohlhabende Niederländer, die sich trotz ihres Wohlstands die oft gerade erst entdeckten Blumen, Früchte, Muscheln und Schnecken aus Ãœbersee nicht leisten konnten. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts war gerade die „Vereinigte Ostindische Kompanie“ gegründet worden, die bis 1900 den Welthandel dominierte. Die Schnecken- und Muschelgehäuse stammten meistens aus dem heutigen Indonesien, Sammeln war zur weitverbreiteten Leidenschaft geworden. Der Maler hat die Utensilien wahrscheinlich nicht selbst besessen, aber naturgetreu abgebildet.
Ebenso attraktiv war es für die Auftraggeber, der Vergänglichkeit ein Schnippchen zu schlagen, denn die Arrangements umfassen oft Blüten aus allen Jahreszeiten, einen göttlichen Mikrokosmos. Heute mag dies zwar kein Wunderwerk mehr sein, damals aber gab es sowas nur im Bild und nicht in echt.

Wie zur Entschuldigung wurden auch diverse Eidechsen, Wespen, Bienen, Fliegen, Heuschrecken, Libellen, Spinnen und Raupen platziert. Stubenfliegen symbolisierten die Vergänglichkeit, dies war eine Geste an die Kirche, welche auch prompt nichts gegen die Stilleben-Mode hatte. Tatsächlich findet sich auf jedem Bild irgendwo eine solche „Legitimationsfliege“. Ebenso eine Raupe und mindestens ein Schmetterling – beides ebenfalls Symbole für Veränderung und Läuterung. Das Obst sieht auch eher nach Bio-Obst aus, man sieht Fraßspuren und schwarze Stellen; Blätter sind angefressen oder haben sogar kleine Löcher. Ein Bild zeigt u.a. drei Erdbeeren, von denen eine angefault ist. All dies aus Respekt vor der göttlichen Schöpfung, so wie sie eben ist. Somit sind die Stilleben in mancher Hinsicht auch sehr viel ehrlicher als spätere Gemälde z.B. aus der idealisierenden Romantik.

Neu war die ab 1600 entstandene Bemühung um Raumtiefe und Perspektive, mit der insbesondere van der Ast spielte. Im Bild der „Tulpe Sommerschön“ sieht man, dass er sich sogar mit Lichtbrechungen in der Glasvase auseinandergesetzt hat – ein Thema, das ab 1600 gerade aufkam. 1618 wurde das physikalische Lichtbrechungsgesetz vom Holländer Willebrord van Roijen Snell veröffentlicht. Auch die Entwicklung des Mikroskops fällt in diese Zeit, was möglicherweise sowohl den Wunsch nach starker Detailtreue als auch deren Realisierung durch den Maler unterstützt hat.

Seiner Kreativität hat der Maler bei der Gestaltung der Vasen freien Lauf gelassen, es handelt sich generell um Fantasieprodukte. Meistens sind es edle Ming-Vasen oder -Schalen aus chinesischem Porzellan (die auch damals schon für den Normalbürger unerschwinglich waren). Zur Unterstützung seiner Fantasie legte sich van der Ast ein umfangreiches Zeichnungsarchiv sogenannter Gouachen an, aus deren Fundus er bei Bedarf die einzelnen Motive mit Hilfe eines ölgetränkten Lakens kopierte und dann ausmalte. Möglicherweise hat man daher den Eindruck, dass mitunter Größenverhältnisse und Perspektiven nicht hundertprozentig passen – wie in der Anfangszeit des Webdesigns. Anders als mit Webdesign konnten Maler wie van der Ast mit ihren Bildern aber richtig Geld verdienen – bis zu 1.000 Gulden pro Stück. Der historische Guldenrechner des International Institute of Social History (Amsterdam) gibt hierfür einen heute entsprechenden Wert von gut 15.000 € an.

Um die weiß-roten oder gelb-roten Tulpen war Anfang des 17. Jahrhunderts eine regelrechte Tulpenhysterie ausgebrochen, eine Spekulationsblase entstanden. Die Zwiebeln waren gerade erst aus der Ost-Türkei eingeführt worden und konnten nun erstmals in Holland vermehrt werden. Der Gegenwert einer einzelnen Zwiebel – wie z.B. der „Semper Augustus“ mit großer Ähnlichkeit zur Tulpe Sommerschön – steigerte sich auf mehrere Wohnhäuser, es gab Tulpenzwiebel-Börsen, schnellen Reichtum und ebenso schnellen Ruin. Sicherer war es daher, blühende Tulpen nur als Gemälde zu besitzen. Die damals üblichen, filigran rot-weiß geflammten Blüten (wie bei Tulpe Sommerschön) stellten sich übrigens als das Werk des Mosaik- bzw. tulip breaking virus‚ (TLB) heraus. Als dies klar wurde, platzte die Tulpenblase 1637.

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Literatur

(MD) Mike Dash: Tulpenwahn. Die verrückteste Spekulation der Geschichte, ISBN 3-548-60063-8.

Beitragsbild: Stilleven met vruchten en bloemen. Rijksmuseum, Public Domain, via Wikimedia Commons, 26.07.2021.

1231.1   Public Domain via pinterest, 21.07.2021.  

1231.2   Public Domain via Wikicommons, 26.07.2021.  

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