Kein schöner Zug: DB-Komfort bleibt auf der Strecke

Interregio. Eine Berliner Großfamilie mit 4 Kindern und noch mehr Fahrrädern stürmt den Waggon von zwei Türen aus gleichzeitig, lautstark und streitend. Ein Vater einer Kleinfamilie beschwert sich, brüllt: „Geht’s auch leiser?“ Aber die Großfamilie ist mit sich selbst beschäftigt, Rücksicht auf Babies anderer Familien steht nicht im heutigen Pfingstausflugsprogramm.

Der Interregio ist nicht besonders voll, nur die Fahrradabteile quellen über. Schwer bepackt mit Satteltaschen spreizen die schmutzigen Geräte die Gänge zu. Am Hauptbahnhof ein sprechender Aufzugknopf wie bei Alice im Wunderland. Ich will ja nur nach oben fahren, aber nach gefühlten 5 Minuten Ansage weiß ich über alle Etagen und Bahnsteige Bescheid – der Aufzug selbst hat Verspätung. Nix für Höhenängstliche, dieses Monument aus Glas und Stahl ohne Rückzugsmöglichkeit und voller Getriebe, alles schön transparent. Die Geländer im 2. OG aus Glas, man sieht hinunter in einen Stationsabgrund wie in ein Puppenhaus.

Die armen DB-Bediensteten auf dem Bahnsteig: hier gibt es nur schrankgroße Kabinen. Von morgens bis abends rennen sie in dem Lärm herum und müssen in ihren Häuschen stehen, nicht einmal ein Klappsitz. Kein Wunder, wenn bald der verspannte Rücken jault und der Burnout droht. Eine durchgezogene weiße Linie signalisiert „Achtung Bahnsteigkante“, leider ist der Restgang keinen Meter breit, wer hat das geplant! Denn in der Mitte des Bahnsteigs ist ein quadratisches Loch ausgespart mit Blick nach unten und Glasgeländer – völlig sinnlos. Alles voll von Reisenden, wir stauen uns vor dem Wagenstandsanzeiger. Zwei Zugteile, wer falsch einsteigt, hat Pech gehabt. Bereiche A-G, über dem B hängt ein großes H – hier aber wohl ein Signal für den ICE-Kapitän, für „Haltestelle“? Wagennummern Platznummern. Die Wagennummern stehen draußen nicht dran, plötzlich werde ich unsicher – Zugteil 1 oder 2? Platznummer gefunden, von Zugteilen stand auf der Fahrkarte nichts. Erste Klasse, der blaugraue Kunstledersitz ist voller Kekskrümel und Chipsreste, da ist erstmal Saubermachen angesagt, während sich die anderen am Hintern vorbeidrängen. Am besten man hat Handfeger und Lappen in der Hosentasche.

Eine Verbindung zum vorderen Zugteil gibt es nicht, sagt die rabiate Schaffnerin, aber die brauche sie auch nicht und käme sehr gut ohne aus, haha. Großraum, Ruhezone, Handyverbot, aber das kümmert nicht, da wird im Zug telefoniert, was das Zeug hält. Spannende Gespräche: Hallo, hörst Du mich? Ich kann Dich nicht verstehen, schreib mir eine E-Mail, ich bin hier gerade im Zug, bis später. Jetzt wissen wir alle bescheid.

Die energische Schaffnerin sagt dazu nichts, bringt aber Essen und Getränke, man muss es nur wissen und sie darum zu bitten wagen. Mehrfach offeriert sie Gummibärchen, um vorbeugend evtl. aufkeimenden Ärger zu befrieden. Die billig wirkende, schmuddelige Waggon-Plastikverkleidung scheppert bei Tempo 180. Eher Quietsch-Zone als „quiet zone“. Die automatische Tür geht nicht auf, nur sekundenlanges Herumfuchteln vor dem Glas führt zur Reaktion. Türballett: Jeder versucht’s auf seine Weise: Ziehen am angedeuteten Griff, Schritt vor und zurück, Arm hoch und runter, Wischen oben im Sensorbereich (wenn man weiß, wo der ist). Eine Zehnjährige ist zu klein, die Tür bleibt zu, bis ich ihr helfe.

Hannover Hbf, großes Gedränge, keiner weiß wohin. Erstmal runter in die Unterführung, noch mehr Geschiebe. Leider gibt es nur eine schmale Rolltreppe, die hochgeht, keine runter, nix für Rückenkranke mit großen Koffern. Ãœberhaupt denke ich öfter, was ein tauber oder schwerhöriger Mensch anfangen würde in all dem Chaos, achten Sie auf die Durchsagen! Oder ein Blinder – das kann man vergessen. Vor dem Aufgang zu Bahnsteig 4 großer Stau an der Rolltreppe. Eine Reisegruppe von Jugendlichen mit Riesenkoffern will das Gepäck nicht schleppen.

Oben kein Durchkommen, der andere ICE hat Verspätung und so sammeln sich die Fahrgäste für zwei Züge in dichten Trauben. Wieder die blöden Wagenstandsanzeiger, auf dem ganzen Bahnsteig gibt es nur zwei. Ich beschließe, erstmal abzuwarten, bis der Zug einfährt und sich der Bahnsteigtrubel halbiert. Väter mit technischem Sachverstand schlagen sich zum Anzeiger durch und verkünden Erkenntnisse. Ich muss mehrfach gucken. Denn Abschnitt A ist jetzt hinten und diesmal nicht in Fahrtrichtung vorne. Immerhin sind diesmal die Wagennummern an den Waggons zu sehen, aber eine Zuganzeige gibt’s erst im Abschnitt B, ob das hier jetzt wirklich der richtige Zug ist? Da hat man gespart, in diesem Bereich jenseits von A stehen ja nur die wenigen Fahrgäste der 1. Klasse. Zum Glück bin ich nicht taub und hole meine Bestätigung von der Durchsage „In Gleis 4 hat jetzt Einfahrt der ICE 75 nach …“

Diesmal Abteil, man zwängt sich. Der Sitz kennt nur zwei Positionen, eine zu steil und eine zu flach. Eigentlich erste Klasse, aber man wünschte sich dringend 1+ oder Premium. Vergleichen Sie das mal mit einem Autositz. Schepperndes, knarrendes, scheuerndes Plastik, die Abteilwände sind dünn wie Alditüten und trotz des Hinweisschildes „Pssst!“ hört man jedes Gickern und Kreischen der 13-jährigen Mädels, auf großer Abenteuerfahrt, aus dem Nachbarabteil.

WLAN = Fehlanzeige. Verbindung nicht möglich. 3G nur ab und zu und meist ist selbst E(dge) nicht da. Schließlich falle ich in Schlummer. „Herzlich willkommen an Bord des …“ scheppert es nach einer Stunde ohrenbetäubend und verzerrt aus dem Lautsprecher und ich schrecke unsanft hoch. Leiser lässt sich das nicht stellen, sagt der Kontrolleur später.

Von den vier älteren Mitreisenden sind Handyklingeltöne und sinnfreie Telefonate nicht zu erwarten, hier ist emsiges Kreuzworträtseln angesagt. Dafür bringt jeder seinen ganz eigenen Körpergeruch mit, der sich schließlich mit dem von gekochten Eiern aus dem Reiseproviant mischt. Eine Dusche vor Reiseantritt scheint nicht mehr angesagt zu sein. Fehlt noch eine Fischmahlzeit – Rücksicht Fehlanzeige … Die Klimaanlage kühlt zwar, lässt sich im Abteil aber nicht auf Außenluft umstellen, was heute in jedem Auto geht.

Man trinkt Bier. Der Zug bleibt bei der Einfahrt nach Frankfurt Hbf schräg ruckelnd stehen, das leere Bierglas fällt runter und streut Scherben am Boden. Die Biertrinker steigen aus. Ein DB-Aufräumer mit orangefarbenem Müllsack verdreht, angesprochen, die Augen und entfernt die Scherben vorwurfsvoll mit einem Handroller. Die Toilette stinkt. Papier ist alle.

An einem Bahnübergang wird gebaut und ein Signal hat eine Störung. Daher hat der ICE 26 Minuten Verspätung und die Anschlüsse fallen aus. Welche das sind, wird ausführlich angesagt. Aber zu Alternativen nix, man muss sich selbst was zusammenreimen oder sich durchfragen. Dafür hält der Zug nun außerplanmäßig irgendwo im Nirgendwo. „Ausstieg in Fahrtrichtung links!“ Aha, das ist natürlich mega-wichtig. Die Deutsche Bahn AG bin ich los, hier fährt die Ortenau S-Bahn. Angenehm gepolsterte Schalensitze, gepflegt. Offensichtlich weit besser als Erste-Klasse-Fahren mit der DB.

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Beitragsbild: Mirke, 2013.

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1899.2   Mirke, 2013.  

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